Nachdem ich gerade Herrn Gärtner Pötschke („Das Gärtnerleben ist gar schön, ich glaub‘, gleich krieg‘ ich einen Fön“) einigermaßen verdaut bzw. verdrängt habe, finde ich heute den vor ca. drei Monaten georderten Ahrens+Sieberz-Katalog im Briefkasten. Respekt! Da tragen die angebotenen Obstgehölze sicher schneller Früchte als der Katalog bis zum potentiellen Kunden braucht.
Diesmal gibt es keine lustigen Sprüche. Fast enttäuscht blättere ich durch. Nochmal durch. Immer noch nichts. Menno! Dafür eröffnet sich das ganze Gruselkabinett der Genmanipulation vor mir. Fangen wir aber mal ganz von vorne an.
Gleich auf Seite 3 stoße ich auf die Goji-Beere ProVita, Untertitel „Die Dreifach-Sensation“. Die als „Wunder für Schönheit und Vitalität“ aus dem Himalaya angepriesene Neuheit 2009 ist angeblich sowohl „Gesundheits-„, als auch „Wuchs-„ und „Genuß-Sensation“ . Dass man Genuss seit geraumer Zeit mit Doppel-s schreibt ignorieren wir mal großzügig. Um eine „Orthographie-Sensation“ scheint es sich also wenigstens nicht zu handeln. Als ich etwas von „4000 Prozent mehr Antioxidantien als eine Orange“ lese, wird mir bereits Angst und Bange. Kann das wirklich gesund sein? Irgendwie auch ein ziemlich mieses Gegenbeispiel (also die Orange jetzt), wird doch bei Wikipedia als Hauptlieferant der – offensichtlich wissenschaftlich äußerst umstrittenen Antioxidantien – mit weitem Abstand Kaffee genannt. Orangen kommen nicht mal in die TopTen! Als ich lese, dass die obskuren Goji-Beeren einen Dünger benötigen, der „Asi-Bio“ heißt, wird es mir zu blöd und ich klappe den Katalog zu.
Was sehe ich auf der Umschlagrückseite? Die Vitalbeere – im weiteren Verlauf des sehr textlastigen Artikels auch China-Beere oder Wu-Wei-Zi-Frucht genannt – hat den Arbeitstitel „Die Beere der ewigen Jugend“. Bei dem Ehepaar mittleren Alters, das mit der Frucht zusammen abgebildet ist, scheint es jedenfalls wenig gebracht zu haben. Oder hat man nur das „Nachher“-Foto unterschlagen?
In die rechte obere Ecke der Seite hat man – wie zufällig – einen ausgerissen wirkenden Zeitungsschnipsel gesetzt, der laut Quellenangabe aus dem „Gong“, Ausgabe 52/04, stammen soll. Der „Gong“ also! Ist das nicht diese medizinische Fachzeitschrift? Genau! So muss es sein. Im genannten Artikel werden vier sehr witzige „Wissenschaftler“ zitiert: Professor Pink Lenn aus Hongkong, Dr. Michael Rützler, Internist und Forscher (?) in Cambridge, Dr. Silvia Reinhold, Wissenschaftlerin aus Amerika (!), und Dr. Andrew Chevalier, England.
Muss man wirklich erwähnen, dass man von diesen Phantasie-Wissenschaftlern keinerlei sinnvolle google-Ergebnisse – zumindest keine, die nicht mit dem Gong-Artikel über die Wu-Wei-Zi-Beere zusammenhängen, findet? Was machen die beiden offensichtlich deutschstämmigen Dottores Rützler und Reinhold in Cambridge bzw. Amerika? Geblendet und wegen Verletzung des Berufsethos über die Grenze getrieben?
Bei Dr. Chevalier reichte die Vorstellungskraft nicht mal mehr für eine Berufsbezeichnung, aber wenigstens klingt der Vorname irgendwie nach „England“. Vielleicht ist bereits sein Vater wegen Verbreitung unseriöser Studien vor Jahrzehnten aus Frankreich verbannt und auf die Insel geschickt worden? Klasse ist natürlich auch Il Professore Pink Lenn, der sicher der Züchter der in deutschen Discountern gerne vertriebenen „Pink Lady“-Äpfel ist.
Schauen wir aber mal, was die tolle Vitalbeere so kann:
durchblutungsfördernde und gefäßreinigende Wirkung
verbessertes Gehör
verbesserte Sehkraft
stärkere Potenz
aktiveres, klügeres Gehirn (waaaahhh… fies formuliert…)
Verjüngungskur für das gesamte Gefäßsystem
erfolgreiche Tinnitus-Behandlung
Förderung klaren, schnellen und präzisen Denkens
Verstärkung der geistigen Reflexe
Linderung von Hustenreiz
verdauungsfördernde Wirkung
Verminderung des Herzinfarkt- und Schlaganfallriskos
Stärkung von Leber und Galle
Oha! Da fragt man sich doch, warum niemand, der für die Produktzusammenstellung bei A+S zuständig ist, mal eine Handvoll von den Dingern eingeworfen, auf die „Verstärkung der geistigen Reflexe“ vertraut und sich dann mit Grauen von dem Früchtchen abgewandt hat. Oder hat er / sie etwa doch und die Wirkung war nicht wie versprochen? Und warum habe ich von diesem sensationellen asiatischen Fund bisher nichts gehört, obwohl der „Gong“-Artikel bereits aus 2004 stammt? Jahrtausende altes Geheimwissen, das durch eine kleine Indiskretion bei Ahrens+Sieberz nun an die Öffentlichkeit gelangt?
Eigentlich hatte ich noch mehr tolle Beispiele für schockierende Züchtungen, sagenhafte Superlativkonstruktionen und furchteinflößende Formulierungen angestrichen. Aber irgendwie hat mich die Feng-Shui… ääähhh… Dr.-Fu-Man-Chu… ääähhh… Jiu-Jitsu-Frucht jetzt total aus dem Konzept gebracht.
Hebe ich mir halt das „Paprikosi“-Bäumchen, die Riesen-Baum-Tomate „Grandiccio“ und die erste gelbe Geranie der Welt mit ihren lustigen Mutanten-Freunden riesenblütige Engelstrompete, Magnum-Himbeere „Pokusa“ und Raketenwacholder halt für den nächsten Tag auf, an dem ich eigentlich nichts zu berichten habe, weil der Gipskarton mich nicht mal aus der Ferne gesehen hat.
Aber eins noch, lieber Ahrens, lieber Sieberz: Ist es wirklich nötig, eine angeblich dekorative und nützliche Blühpflanze „Verpiss-Dich – der Schock für Nachbars Katze“ (Seite 41) zu nennen?! Milde stimmt mich dabei nur, dass ihr euch – etwa aus Versehen? – den widerlichen, aber neuerdings ziemlich beliebten Apostroph beim Nachbarsgenitiv verkniffen habt. Danke dafür!