Damit Sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen können!

„Did I disappoint you or let you down?
Should I be feeling guilty or let the dentists frown?
‚Cause I saw the end before we’d begun,
Yes I saw you were ill and I knew I had lost…“


Zu diesem Tag passt echt nur James Blunt, der öde Gitarrenbarde von der Insel (Sorry, Janett!). Nervig wie Zahnstein, grausam wie eine Wurzelbehandlung, überflüssig wie Karies und Parodontitis. Der aufmerksame Leser ahnt es bereits: Ich war heute beim Zahnarzt.

Spontan fallen mir wenige Dinge ein, die ich schlimmer finde als einen Zahnarztbesuch. Unfähige Trockenbauer? Lache ich drüber! Bollywood-Film aufgenommen und Videokassette drei Minuten vor Ende voll? Schicksal! Eine Entbindung? Kinderkram!

Meine persönliche Zahnarztgeschichte ist eine Aneinanderreihung schrecklicher Erlebnisse. Dass man da nicht mehr freudig erregt und erwartungsvoll im Wartezimmer sitzt, ist wirklich kein Wunder.

Mein erster Zahnarzt hieß Dr. Schulz. Oder Dr. Schultz? Ich weiß es nicht mehr genau. Er war bereits ziemlich alt, aber der einzige Zahnarzt in dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin. Meine ersten Füllungen bekam ich unter Äther-Narkose („Mama, als du klein warst, gab es da noch Dinosaurier?“). Das war nicht so entspannend wie man sich das nach der Lektüre von „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ von John Irving gemeinhin vorstellt. Aber ich war ja als Kind auch weit entfernt von der kontemplativen Gelassenheit eines Dr. Wilbur Larch. Ich dachte jedesmal, dass ich nicht mehr wach werden und ganz sicher sterben würde – während ich von 20 aus rückwärts zählen musste. Meist kam ich nicht viel weiter als 17 oder vielleicht 15, aber in diesen kurzen Sekunden dachte ich stets, dass jetzt alles aus sei.

Später bekam ich dann eine Zahnspange. An sich nichts besonderes. Hatten damals ja alle. Zuerst war es ja auch nur eine von denen, die man zwischendurch in Kukident-Lösung legt und in Situationen, in denen es gerade nicht passt, man sich schämt oder das Ding einfach nur nervt, auch mal in das rote Kästchen stecken und kurz vergessen kann. Dann kam aber dieses Zaumzeug dazu. Keine Ahnung, wie das wissenschaftlich korrekt heißt. Man sieht jedenfalls damit aus wie ein Pferd kurz vor einer Voltigiereinheit.

Irgendwie brachte das aber nichts. Zahnarzt Nr. 1 (nicht mehr Dr. Schulz / Schultz, sondern sein Nachfolger) gab frustriert auf und schickte mich zu einem „richtigen“ Kieferorthopäden, der sich auch gleich mit einer festen Spange beliebt machte. Für die monatlichen Kontrollbesuche, bei denen dann die Schrauben schön festgezurrt wurden und die Spange in eine Stellung geriet, durch die man jeweils eine Woche lange offene Wunden im Mundraum hatte, musste ich zu allem Überfluss auch noch nach Koblenz. Es wurde mit Gummis experimentiert, die oben und unten eingehakt wurden, über Kreuz und gerade. Man bekam halt bloß den Mund nicht mehr richtig auf. Und sah total Scheiße aus.

Die Behandlung fand ein abruptes Ende, als sich der Herr Kieferorthopäde eines Abends in seiner Garage erschoss.

Ein Kieferorthopädenwechsel wurde nötig. Der neue Herr Doktor war an sich echt in Ordnung. Mittlerweile stand ich allerdings auch bereits kurz vor dem Abitur und wollte den Mist endlich los werden, um unbeschwert und frei in die weite Welt ziehen zu können. Er brachte es zu einem Ende und drückte mir schließlich einen „Positioner“ in die Hand. Für nachts. Hatte ich, wenn es hochkommt, viermal an. Die Erleichterung war zu groß. Die konnte ich mir nicht von so einem Gummiding versauen lassen. Als die Brackets entfernt wurden, lief im Radio der Zahnarztpraxis „Suburbia“ von den Pet Shop Boys. Nie werde ich das vergessen.

Ich zog zu Hause aus und vertagte die Zahnarzt-Sache erstmal auf unbestimmte Zeit. Irgendwann ging ich dann wieder, weil man das halt so macht. Der Auserwählte war mir empfohlen worden und ich war auch sehr zufrieden. Dann hatte er gesundheitliche und private Probleme und nahm eine zweite Zahnärztin in seine Praxis auf. Gerade zu dieser Zeit hatte ich eine echt schlechte Zahn-Phase in meinem Leben und unterzog mich innerhalb einiger Wochen zwei Wurzel- und einer Parodontose-Behandlung. Der zweiten meines Lebens. Grauenhaft! Danach war ich erstmal wieder bedient.

Ungefähr ein Jahr später bekam ich wieder Zahnschmerzen. Ich ging also hin und der Herr Doktor meinte, das läge an meinen freiliegenden Zahnhälsen, die halt etwas empfindlich seien. Das war aber nicht „etwas empfindlich“. Das war „Aua-aua-aua-aua!!!“ Kurz danach stand bzw. lag ich wieder vor ihm – gleiches Spiel. Eine Woche später ging es dann nichts mehr. Gut… Mir gingen auch langsam die Schmerztabletten aus…

Samstag! Der Bauherr entschied, dass man nun in die Zahnklinik der Universität Mainz müsse. Um 7 Uhr morgens. Er traf die Entscheidung nicht leichtfertig. Ich hatte die ganze Nacht geheult. Der diensthabende Arzt war in keiner guten Stimmung als wir eintrafen. „Warum gehen Sie nicht unter der Woche zum Zahnarzt? Immer das gleiche…“ Rechtfertigungen und Erklärungen unsererseits konnten ihn nicht besänftigen. Er befahl mir, den Mund zu öffnen, und jagte mir ohne Vorwarnung eine Spritze in den Unterkiefer. Der Bauherr verspürte Mordgelüste. Mir war mittlerweile alles egal. Leben… Tod… Nur ein minimaler Unterschied…

Und nun zurück zur Gegenwart: Seit ein paar Wochen merke ich schon, dass „da was nicht stimmt“. Das erst noch leicht zu verdrängende und unbestimmte Gefühl wuchs sich zu Schmerzen aus. Ein Termin bei des Bauherren Zahnarzt wurde vereinbart. Der Termin war heute. Um es kurz zu machen: Der Zahn ist weg. Und Ersatz gibt es erst in zwei Wochen, weil gerade noch alles angeschwollen und für Abdrücke nicht geeignet ist. Und weil die Praxis in der Woche vor Ostern geschlossen hat. Prima…

Gelacht wird jetzt also erstmal nicht mehr. Wehe, jemand macht einen blöden Witz! Nicht mal über James Blunt.

„… I’ve seen you cry, I’ve seen you smile.
I’ve watched you hurting for a while.
I’d be the murderer of your root.
I’d spend a lifetime with you…“

Anschließend – also nach dem Verschwitztes-Händchen-halten – erklärte sich der Bauherr freiwillig (!!!) bereit, mit mir beim nahegelegenen Ikea vorbeizuschauen. Dazu muss man sagen: Er hasst Ikea. Noch erstaunlicher als sein Entgegenkommen ist allerdings die Tatsache, dass ich nichts gekauft habe. In Worten: N-I-C-H-T-S! Das gab es noch nie! Normalerweise schleppe ich wenigstens aus Mitleid eine zerzauste Zimmerpflanze nach Hause, die dann nicht mehr als zwei Wochen überlebt. Es muss an der Betäubung gelegen haben. Anders kann ich mir das nicht erklären…

„… I know your fears and you know mine.
We’ve had our doubts but now we’re fine,
And I loved you, I swear that’s true.
Now I must live without you.
Goodbye my ‚Fünfer‘.
Goodbye my tooth.
You have been the one.
You have been the one for me.“

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