Das war heute wieder so ein Tag für eine gepflegte Schizophrenie. Ich habe immer wieder genau das getan, was diese doofe „Gute Erziehung“s-Stimme in meinem Kopf mir riet, statt das zu tun, wonach mir jeweils wirklich war.
Es fing bereits um 6:26 Uhr am Wiesbadener Hauptbahnhof an. Als ich in meine Regionalbahn steigen wollte, wunderte ich mich schon etwas, dass der erste Wagen komplett dunkel war. Als aber die beiden Herren vor mir einstiegen, folgte ich ihnen einfach.
Fehler! Im Zug stand ein etwa 1,20 m großer Zubegleiter, der uns mit einem Wortschwall à la „Ja, gibt es denn sowas?! Habe ich es nur mit Idioten zu tun?! Am Ende fallen sie im Dunkeln auf die Fresse und beschweren sich dann… Wie oft habe ich jetzt schon gesagt, dass hier keiner rein soll?! Nur Bekloppte, nur Bekloppte…“ eindeckte. Wir waren perplex. Leider.
Richtige Reaktion: Sidekick. Handkantenschlag an den Kehlkopf. Filmszene aus „Highlander“: Zugbegleiter am Kragen nehmen, an die Wand drücken und grausam, aber entschieden „Sprich mich nie wieder an. Hast du mich verstanden?“ murmeln. Zugbegleiter fallen lassen und weg gehen.
Tatsächliche Reaktion: „Ähhh… Aber ich bin doch gerade erst… Ja, o.k. …“, ärgern, mehr ärgern, noch mehr ärgern – dabei in zweiten Wagen einsteigen und so tun, als wäre nichts passiert.
Und wie der Tag begonnen hatte, so ging er weiter. Mittagspause. Der Chef wollte eine Runde Eis für alle ausgeben. Ich hatte mich bereit erklärt, es zu besorgen. Aldi. 12:30 Uhr. Eis im Wagen, vor mir ein Rentner. Nicht irgendein Rentner, sondern einer von der Sorte, die sich seit 1945 langweilt, weil ihr Blockwartjob weg ist. Toll.
Kurz bevor das Mädel in der Kassenschlange vor ihm an der Reihe war, entspann sich folgendes Gespräch zwischen den beiden. Er: „So! Wollen Sie jetzt vielleicht mal den Abtrenner zwischen Ihren und meinen Einkauf legen?“ – Sie: „Nö. Wieso?“ – „Weil das so gehört.“ – „Wenn Sie das wollen, legen Sie doch einen hin!“ – „Muss ich Ihnen jetzt erklären, wie das gültige Verfahren ist?! Jeder legt hinter seinen Einkauf einen Abtrenner.“ – „Nö. Mach ich nicht. Ist mir zu blöd.“ – „Das Verfahren ist aber, dass man einen Abtrenner hinlegt, wenn man alle Sachen auf dem Band hat.“ – „Ist mir zu blöd, mit Ihnen darüber zu streiten.“
Richtige Reaktion: Gehstock wegtreten, Opa auf den Packtisch setzen und streng anschauen. Opas Einkäufe mitbezahlen und vor seinen Augen zertrampeln. Opa wieder in den Laden schicken, um neu einzukaufen.
Tatsächliche Reaktion: Das Mädel angrinsen, Augen rollen, mit den Käuferinnen an der Kasse nebenan vielsagende Blicke tauschen. Einkäufe bezahlen. Laden verlassen.
Über den gesamten Elf-Stunden-Arbeitstag breiten wir jetzt mal dezent den Mantel des Schweigens. Nur soviel: Er bot mehr als eine Gelegenheit, die Nerven zu verlieren, aber das ist ja dann nicht nur ein Verstoß gegen innere Zwänge, sondern auch gleich eine nette Möglichkeit, ab morgen mittellos dazustehen. Da fällt die Selbstbeherrschung deutlich leichter.
In der Bahn nach Wiesbaden wurde ich dann allerdings doch nochmals an meine Grenzen getrieben. Mir gegenüber saß nämlich eine von diesen Frauen, die während der gesamten Fahrt per Handy kommunizieren. Klar telefoniere ich auch mal kurz, aber eher selten, und wenn, dann beschränkt sich das meist auf heiser geflüsterte Kurzsätze wie „Bin dann um 15:37 Uhr an der Haltestelle.“ oder „Prima. Dann bis gleich.“
Leider handhaben das nicht alle Menschen so. Stattdessen wird man ständig Zeuge intimer, manchmal gar intimster, Gespräche, die man wirklich nicht hören möchte. Diesmal war es allerdings echt extrem.
Das ging von „Ja. Ich liebe dich auch unendlich. *Schmatz* Ja, ich liebe dich so sehr…“ bis zu „Ja genau. DAS Oberteil hatte ich heute an. Erfüllte mich auch den ganzen Tag mit guten Gefühlen. Ich war richtig aufgeregt…“. Gulp!
Nein! Ich will nicht wissen, wer meinem anonymen Gegenüber welches Shirt vor ein paar Tagen vom Leib gerissen hat, und welcher Grad dabei auf der nach oben offenen „Ich liebe dich“-Skala erreicht wurde! Nein, nein, nein… Schluchz!
Richtige Reaktion: Dem dummen Luder mit den Worten „Ich darf doch mal kurz…?!“ das Handy wegnehmen, dem Typ am Telefon mitteilen, dass er eine ganz arme Sau sei, weil seine hässliche Freundin vor einem ganzen Bahnwagen ihr Privatleben ausbreitet, um ihr armseliges Ego aufzupeppen, das Handy abschalten und es seiner Besitzerin mit den Worten „Und jetzt ist Schluss, sonst kannst du gleich winzige Elektronikbauteile puzzeln, du blöde Kuh!“ wieder in die Hand drücken. DAS würde gut tun!
Tatsächliche Reaktion: Lesen. So tun, als hörte man nichts. Lesen. Schweiß abwischen. Lesen.
Ach, wenn man doch nur könnte, wie man wollte…
:haha: :keks:
Als etwas freundlichere Abhilfe für den letzten Fall vielleicht das eigene Handy rausziehen und anfangen zu filmen, oder wenigstens so tun als ob?