Pico – das klang für mich nach einer kleinen Insel. In der Tat ist Pico die zweitgrößte der Azoreninseln. „Pico“ klingt so nach piccolo oder piccolino. Deshalb vielleicht. Jedenfalls war das die Vermutung des männlichen Teils des sehr netten französischen Ehepaars, mit dem wir den letzten Abend auf Pico verbrachten.
Am Ende ist Pico einfach nur nach dem Berg benannt, der es beherrscht. Der Pico Alto ist mit 2352 Metern auch gleich der höchste Berg Portugals. Und von São Jorge aus ist der Pico im Prinzip eine Art running gag, weil man ihn zwar immer sieht, aber eben nie ganz. Irgendwelche Wolken sind eigentlich stets im Weg.
Selbst auf Pico sieht man den Pico nie so richtig. Dazu braucht es gutes Wetter und ein gutes Timing. Am letzten Tag hatten wir das. Dazu kommen wir aber noch.
Nach Pico nimmt man von São Jorge aus eine Fähre. Da unser Mietwagenverleih keine Niederlassung am Hafen hatte, fuhren wir von dort mit dem Taxi zum Flughafen, um unser Gefährt entgegen zu nehmen. Man ahnt es bereits. Es handelte sich um einen Peugeot. No comment.
Immerhin bekamen wir einen 207 statt des uns vertragsgemäß zustehenden 206. Dafür war dieser aber ungewaschen und unbetankt. Was soll’s. Immerhin eine „2“ vorne. Das Ding war dann auch wirklich brauchbar. Wir waren erleichtert. Noch einen 107 hätten wir kaum verkraftet.
Was zu verkraften wir allerdings in der Lage waren, war unser neues Quartier. Da stimmte einfach alles. Nennen wir also wieder einmal Namen: „O Zimbreiro“ in Piedade. Tolles Gelände, supernette Gastgeber, hübsches Häuschen – und am letzten Abend ein vom Hausherren gekochtes, absolut köstliches Essen. Mehr geht wirklich nicht.
Bevor wir dort eintrafen – wir waren deutlich vor dem Check-in-Termin in Piedade – sah die Planung des vorausschauenden Gatten wieder einmal eine „Küstenwanderung“ vor. Das kann etwas Angenehmes und etwas Erschreckendes bedeuten. Man weiß es vorher nicht. In diesem Fall endete es für mich in der totalen Erschöpfung, aber daran war letzten Endes das Wetter schuld. Es war nicht nur heiß. Es war unerträglich heiß. Und selbst das eiskalte Wasser und der Kaffee auf dem Blaskapellenfest in Manhenha konnten mich nicht retten. Egal. Ich schaffte es trotzdem zum Auto.
Lustig übrigens am Fest: Es tauchte der erste Uniformierte auf und besorgte sich ein Sagres. Der zweite tat es ihm gleich. Der dritte kaufte gleich zwei. Ich begann mich zu wundern. Uniform… Bier… Ein deutscher Polizist im Dienst würde sicher kein Bier trinken, oder? Als dann ein Bus voller Uniformierter auftauchte, dessen Insassen sich allesamt unmittelbar nach ihrer Ankunft mit Sagres versorgten, wurde es mir klar: Das waren gar keine Polizisten! Das waren die Mitglieder einer der örtlichen Blaskapellen!
Dazu muss man anmerken, dass Blaskapellen sehr beliebt auf den Azoren sind. In die Clubheime von Blaskapellen werden auch etliche tausend Euro an EU-Geldern investiert. Böse Zungen behaupten, dass man zwar kein gescheites Krankenhaus auf Pico finden würde, wenn Not am Mann sei, aber dass mann dann wenigstens ordentliche Blasmusik bei seiner Beerdingung habe. So ist das.
Bevor es am Ende wieder zum Äußersten – also zu „Ein bißchen Frieden“ – kommen würde verabschiedeten wir uns und machten uns auf den Weg zum Auto. Und bei unserer Ankunft in Piedade war es dann auch wirklich Zeit, unser neues und letztes Quartier zu beziehen.
Uns wurde für das Abendessen – die Alternative hatte sonntags geschlossen – das „Estrela do Mar“ direkt am Hafen von Calhau empfohlen. Ein guter Tipp. Wir bekamen frischen Fisch (Tintenfisch und Thunfisch) serviert. Die Beilagen schmeckten nach etwas, die Bedienung bzw. Köchin in einer Person war wirklich bemüht und konnte auch was.
Nach dem Essen saßen wir noch eine ganze Weile mit einem netten amerikanischen Ehepaar zusammen, dessen weiblicher Teil mit 15 Jahren in die USA ausgewandert war. Ihre Familie stammte von Pico, und die beiden besuchten etwa alle zwei Jahre die Insel. Ein gutes Essen, eine nette Unterhaltung – Pico mochten wir auf Anhieb.
Als uns zum Frühstück Käse und Schokocroissants serviert wurden, mochten wir es noch mehr. Und das Beste stand uns ja noch bevor: Whale Watching!
Sagen wir es so: Wir hatten den perfekten Tag dafür erwischt. Sonnig, nicht zu stürmisch auf dem Meer – und eine Portion Glück war auch noch dabei. Der erste Anbieter im Hafen – also der, der allüberall empfohlen wurde – hatte für diesen Tag keinen Platz im Boot mehr frei. Wir waren ein wenig entmutigt.
Allerdings fanden wir nach kurzer Suche einen zweiten Anbieter, der in einem größeren Boot für 14:00 Uhr noch zwei Plätze zu vergeben hatte. Her damit! Jetzt mussten wir nur noch eine Apotheke finden, um für den Chef Tabletten gegen Seekrankheit zu besorgen. Sicher ist sicher!
Bevor es losgehen sollte, fuhren wir noch ein wenig herum. Dabei fiel mir plötzlich auf, dass ich vergessen hatte, meine Kameraakkus zu laden! Verdammt! Ausgerechnet jetzt. Wir fanden ein gemütliches Straßencafé, bestellten zwei Kaffee und bettelten die Besitzerin um ein wenig Strom an. Ausgenommen freundlich wurde uns sofort eine Steckdose angeboten. Wir lungerten rum, tranken noch zwei Kaffee, lungerten noch ein wenig rum, bis ich nach etwa einer Stunde befand, dass die Ladung nun zumindest für nächsten Stunden ausreichend sein müsste.
Sofort ging es zurück in den Hafen. Wir kamen rechtzeitig. So rechtzeitig, dass wir vor Entgegennahme der Regenjacken und der Schwimmwesten noch ein Eis essen konnte. Und ich hatte noch Zeit festzustellen, dass der Regenüberzieher der Kamera zwar für das 70-200-Objektiv, nicht aber für das größere 100-400er passte. Leichte Panik! Die Kamera! In Verbindung mit Wasser! Am Ende siegte der „So schlimm wird es schon nicht werden…“-Gedanke, der sich allerdings kurz darauf als vollkommen bodenlos und hoffnungslos naiv herausstellte.
Der Chef ließ sich trotz der Tabletteneinnahme noch einen Kotzbeutel in die Hand drücken. Das war mein Glück. Als das Boot beschleunigte, bot er ihn mir an und ich schlug zu. Ohne die Plastiktüte wäre die Kamera definitiv an diesem Tag gestorben. Und selbst mit dem Beutel ist mir nicht klar, wie sie das überleben konnte.
Beim zweiten Beschleunigen des Boots verpasste ich den Moment, sie in die Tüte zu stecken, drückte sie unter die Regenjacke und war wie ein Kuhhund bereit, sie mit meinem Leben zu verteidigen. Ich war sicher, dass sie tot sein würde, wenn das Boot beim nächsten Mal stoppte, aber sie lebte noch. Und sie lebt immer noch. Reines Glück würde ich sagen.
Das war echt ein wilder Ritt, der an Achterbahnfahrten erinnerte. Aber wie gut war die Idee mit dem Whale Watching doch gewesen! Am Ende waren wir nass bis auf die Knochen und hatten Entenwale, Pottwale, Tümmler und Fleckendelphine gesichtet. Ich hätte meine Regenjacke ja gerne vorne geschlossen, aber ich brauchte sie ja offen, um jederzeit die Kamera verzweifelt zwischen mich und den Jackenstoff zu pressen.
Die Delphine kamen echt zu zweit oder dritt direkt am Boot vorbei, tauchten unter dem Boot durch und auf der anderen Seite wieder auf. Es war herrlich! Ein ganz tolles Erlebnis.
Anschließend war der mit Medikamenten gegen Seekrankheit vollgepumpte Gatte total müde („Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker…“), hatte aber gottlob den Kotzbeutel nicht benötigt, und ich war komplett versalzen. Nach dem Entfernen der Krusten unter der Dusche fühlte ich mich wie nach einem Peeling.
Und damit war er auch schon angebrochen, unser letzter Pico-Abend. Menno!
Und der letzte Abend war nochmal richtig nett. Wir hatten uns bei unseren Gastgebern zum Abendessen eingebucht. Mit uns aßen ein französisches Ehepaar und zwei frischverheiratete Schotten auf Honeymoon – alle außerordentlich sympathisch. Da verging die Zeit wie im Fluge.
Hinzu kam das tolle Essen. Vorab gab es einen selbstgemachten Aperitif und eine Gurkengazpacho mit Curry, gefolgt von einem Tomatenbasilikumflan mit kleinem Salat. Als Hauptgang gab es Pigfish à la Saltimbocca mit Kartoffelpurree und einer Gartengemüseauswahl. Die Crème brulée zum Dessert – wahlweise mit Kaffee oder Schnaps im Anschluss – war perfekt. Der gute Jérémy könnte gerne jeden Abend für uns kochen. Und das Rezept für den Tomatenflan kam auch mittlerweile per Mail an.
Am nächsten Tag wollten wir nochmal ein paar Pico-Fotos (vom Pico-Berg) machen und die kleine Badebucht in Terra do Pão besuchen, bevor es auf dem Heimweg gehen würde.
Gesagt, getan. Das Wetter war perfekt für beide Unternehmungen. Blöd nur, dass von unseren letzten drei Sagres mini, die der kluge Gatte in der Badebucht zum Kühlen „geparkt“ hatte, eins von der Flut ins Meer hinaus gezogen wurde. Die letzten beiden wurden vernichtet. Das dritte treibt jetzt vermutlich irgendwo lustig im Atlantik.
Anschließend ging es zum Hafen von Madalena, wo wir fast wahnsinnig wurden, weil die Fähre bereits angelegt, aber immer noch niemand von der Mietwagenfirma unser Auto abgeholt hatte. Am Ende drückten wir den Schlüssel einem etwas seltsam aussehenden jungen Mann in die Hand, der auf uns zukam und etwas von „Car“ und „Keys“ murmelte, und rannten an Bord. Da sich bisher noch niemand gemeldet hat, scheint er wohl doch ein Angestellter der betreffenden Firma gewesen zu sein.
In Horta gingen wir von Bord, snackten in einer Snackbar, enterten ein zufällig am Straßenrand stehendes Taxi und ließen uns zum Flughafen bringen. Den letzten Abend würden wir, bevor am nächsten Morgen um 7:10 Uhr unser Flug nach Frankfurt ging, in Ponta Delgada verbringen.
Vorher kamen wir aber tatsächlich in Horta noch zu unserem Peter-Café-Sport-Gin-Tonic. Es gab nämlich eine Niederlassung im Flughafen mit Terrasse. Der Gin Tonic vertrieb letzte Ängste vor dem interazoranischen Propellerflug. Zudem wurden wir beim Gepäckeinchecken gefragt, ob die Koffer gleich bis FRA gehen sollten. Wir überlegten kurz, ob wir eine Nacht ohne Zahnbürsten dem endlosen Kofferschleppen durch Ponta Delgada vorziehen würden. Ja. Würden wir. Weg mit den Koffern! Gin Tonic ist ja fast wie Zähneputzen.
Als wir schließlich gepäcklos nach einer weiteren Taxifahrt vor unserem B&B für eine Nacht eintrafen, öffnete niemand die Tür. Ein kurzer Anruf lockte dann unsere Vermieterin vom Strand weg.
Währenddessen organisierten wir einen Tisch für unser Abendessen und schauten uns die Altstadt von Ponta Delgada an.
Nach zweieinhalb Wochen „auf dem Land“ war das direkt wieder städtisch. Und wirklich sehr nett. Unbedingt zu empfehlen sei an dieser Stelle das Restaurant, das wir in unmittelbarer Nähe fanden: das „Tasca“.
Vollbesetzt bis auf den letzten Platz, aber man versprach uns einen Tisch für zwei Personen in einer Stunde. Und das Warten lohnte sich. Klasse Tapas, netter Service, frischer Fisch und der laut dem meeresfrüchtefreudigen Gatten beste Tintenfischsalat auf vier Inseln. Und erst das Knoblauchbrot…
Mit „Tasca“ kam in diesem Falle nicht die Zärtlichkeit, aber dafür die nötige Bettschwere, um am nächsten Morgen halbwegs frisch am Flughafen zu stehen. Unsere Vermieterin hatte uns versprochen, ein Taxi zu organisieren. Wir waren etwas im Zweifel, aber sie hielt Wort. Dank der Tatsache, dass wir kein Gepäck einzuchecken und das Online-Boarding genutzt hatten (klappt übrigens super bei SATA!), blieb noch Zeit für jeweils zwei Kaffee vor dem Abflug.
Und ab da wurde es doof: Partybuskassette und ekliges Rührei an Bord. Als Film lief „Practi.com“, ein öder, sinnfreier, auf Spielfilmlänge aufgeblasener Werbespot für Google mit Owen Wilson und Vince Vaughn. Da war man froh, müde zu sein. Und dann landeten wir im strömenden Regen in Frankfurt, reisten im strömenden Regen nach Hause, und sitzen seitdem bei fiesem Wetter hinter der Scheibe. Und erkältet bin ich auch schon wieder. Grrrrr… Ich will zurück!