Als Kind mochte ich – was Essen angeht – viele Sachen nicht. Und wenn ich etwas nicht mochte, verweigerte ich wie ein bockiges Maultier, von dem alle hofften, dass es ein hochmotiviertes Dressurpferd mit Bestleistungen in der „Wir essen alles“-Wertung werden würde. Von Bestechung bis Bestrafung wurde ein bunter Strauß an Erziehungsversuchen an mir ausprobiert. Der amüsanteste ist für mich bis heute, dass für jeden Dosenchampignon, I. Wahl, den ich verspeisen würde, fünfzig Pfennig Preisgeld ausgelobt wurden. Fünfzig Pfennig! Das waren zwei Berry-Eis! Oder zehn Lakritzschnecken! Eigentlich also „ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte“.
Ich mach’s kurz: Ich wurde nicht reich. Und ich hasste Dosenchampignons exakt bis zu meiner Schwangerschaft. Ab dieser Zeit wäre ich reich geworden, wenn das Angebot nach wie vor Bestand gehabt hätte. Hat es aber nicht. Ich werde nie vergessen, wie ich völlig besessen und ohne Dosenöffner in erreichbarer Nähe einmal versuche, mit purer Gier und einem regulären Brotmesser eine Pfunddose Pilze aufzuhebeln. Ich schaffte es halbwegs, goss die ekelhafte Brühe ab und stocherte so lange in der winzigen Öffnung herum, bis ich mir die komplette Dose einverleibt hatte. Kalt. Man wird seine Meinung über Dosenchampignons doch wohl mal ändern dürfen, oder?! Ich änderte sie übrigens nach der Entbindung nochmals. Dosenchampignons?! Widerlich!
Überhaupt habe ich mittlerweile meine Meinung über eine Reihe von Lebensmitteln geändert. Nicht über alle, aber doch über viele. Mein größtes Problem lag allerdings bis vor ein paar Jahren beständig beim Fleisch.
Alles, das irgendwie einen Fettrand hatte, oder sonstwie „durchwachsen“ war – mich schüttelt es heute noch vor Ekel, wenn ich an die Kot(z)eletts meiner Kindheit denke -, erfüllte mich mit Grauen. Echtem, tiefempfundenem Grauen. Nicht eingebildetem Grauen. Grauen, das einen tief an der Kehle packt und einem sagt: „Das Muss Raus. Sofort.“
Der Entdeckung stundenlangen Schmorens, das dafür sorgt, dass das fiese Mundgefühl (und damit das Würgen…) bei durchwachsenem Fleisch ausbleibt, verdanke ich einen neuen Zugang zu Fleisch. Seit einigen Jahren ist mir klar, dass das das für mich Eklige durch die „richtige“ Zubereitung zu etwas sehr Genießbarem wird. Oder gar zu etwas sehr „Genuss“barem.
Die Bäckchen – Ochsen-, Kalbs- und Schweinebäckchen – machten den Anfang. Ich bekam sie so hin, dass ich sie toll fand. Bei den Ochsenbacken brauchte es ein paar Versuche, aber dann war es um mich geschehen. Köstlich.
Und Sonntag war dann mein letzthin erbeuteter Ochsenschwanz fällig. Noch eine Mutprobe. Ich briet ihn scharf an, löschte ihn mit etwas Sojasauce und rotem Portwein ab und vergesellschaftete ihn mit reichlich Staudensellerie, Fenchel und Lauch im Schmortopf. Eine Karotte wanderte noch hinein. Und ein paar Kräuter. Und anschließend nach und nach eine ganze Flasche Rotwein und etwa ein halber Liter Rinderbrühe. Als nach einigen Stunden das gesamte Haus geruchstechnisch ordentlich verochsenschwanzt war, nahm ich den Deckel ab und ließ die ganze Sache ungerührt weiter köcheln.
Zuletzt nahm ich das Fleisch heraus, pflückte es locker vom Knochen und stellte es kurz beiseite. Die Sauce wurde abgeseit und weiter eingekocht – mit den Fleischfasern darin. Zuletzt gönnte ich ihr noch einen wönzögen Schuss Sahne und schmeckte sie mit Salz und Pfeffer ab. Und dann fiel mir auf, dass ich den Pastateig vergessen hatte…
Egal! Selbst mit gekauften Maccheroni schmeckte das wie ein Traum. Ich muss unbedingt bei den letzten Aartalhofeinkäufen noch Ochsenschwänze bunkern. Und mir wird bei „Ochsenschwanz“ wohl auch nie wieder eine Suppendose einfallen, wie sie meine Mutter bisweilen öffnete. Für mich damals auch „das Grauen“. Gibt’s die eigentlich noch?! Egal! Ich muss sie ja nicht kaufen.