Die letzten Wochen vor dem Urlaub wurde es nochmal so richtig hektisch. Erst dauerte es ewig, bis ich mich nach dem Virus wieder wie ein Mensch – also ein tatkräftiger Mensch – fühlte. Zwischendurch hatte ich starke Zweifel daran, dass ich irgendwann wieder der gleiche Mensch wie vorher sein würde. Nach etwa zwei Wochen schmeckte ich dann wieder wie vorher. Die Schlappheit hielt allerdings noch deutlich länger an. Nun. Geschichte! Puh!
Parallel schritten die Arbeiten am Arbeitszimmer des Gatten aka der Seminarbibliothek voran. Der Schreiner hatte uns leider beim Bau der Regale sitzen lassen. Wir beschlossen daraufhin, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Parallel taten wir eine weitere Baustelle im Esszimmer auf, indem wir beschlossen, eine Kommode gegen einen Schrank auszutauschen. Zu viele Teller, zu viel Geschirr. Kennt man ja. Oder etwa nicht nicht?!
Immerhin wurde ich dadurch kurzzeitig zur „King*in of the Road“, als wir an einem der heißesten Tage des Sommers den Schrank in einer Wiesbadener Altbauwohnung in der Innenstadt demontierten, aus dem zweiten Stock zum eigens gemieteten, monströsen IVECO schleiften, abtransportierten und am Ende auch wieder montierten. In unserem eigenen Esszimmer eben. Und am gleichen Tag traf der Genderstein ein, den man kostenlos vor Monaten zum Scrabble bestellen konnte. Ein großer Tag für den Feminismus!
In der letzten Woche vor der Abreise wurden dann auch noch die Zwetschgen reif und wurden eingekocht. Und am letzten Abend stand ich mit zwei herrlichen Auberginen aus dem Hochbeet in der Küche. Ich versenke sie kurzerhand in einer Ladung maltesischer Kapunata.
Und am Ende klappte ich dann doch irgendwann am Abreisefreitag mit einem teils erleichterten, teils diabolischen „Na endlich!“-Lächeln im Gesicht den Arbeitslaptop zu – und auf ging es! Direkt vom Schreibtisch zum Flughafen praktisch. Mit einem 9-Euro-Ticket übrigens.
Der Flug nach Madeira hatte am Ende fast eine Stunde Verspätung – aaaber: Wider alle Prophezeihungen gab es am Fraport selbst absolut keine Verzögerungen. Gepäckschalter ohne Schlange, Sicherheitskontrolle ohne Warten. Beim Boarding bot dann noch eine Großfamilie aus perfekt getroffenen Prototypen der englischen Working Class allerlei Kurzweil. Man hatte wohl gemeinschaftlich in Herzogenaurach den Werksverkauf eines bekannten deutschen Sportartikelherstellers geplündert und gleich alles anbehalten.
Wir stiegen ziemlich entspannt in den Flieger und wären auch so ausgestiegen, wenn die Frau im Sitz vor mir nicht direkt nach dem Start ihren Sitz zurück geklappt hätte. Der Sitz blieb so. Den ganzen Flug über. Mal unter uns: Dem Sitzzurückklapper selbst bringt das doch nicht wirklich was, oder? Das ist doch eine rein sadistische Aktion, um den Hintermann einzuklemmen. Weil man’s kann. Pffff… Wenigstens kam ihr erst etwa eine Stunde vor der Landung die Idee, sich einen Film anzuschauen. Ohne Kopfhörer… Einen echten Sch***film übrigens…
Der niedliche Cristiano-Ronaldo-Aeroporto etwas östlich von Funchal brachte uns dann wieder zurück in Urlaubsstimmung. Ich hatte zuvor den Fehler begangen, mir YouTube-Videos von katastrophalen Landungen und Starts auf Madeira anzuschauen, was mir nicht wirklich gut getan hatte. Der Angstschweiß floss in Strömen, aber die Landung war dann absolut kein Problem für unseren österreichischen Piloten. Butterweich! Die Koffer kamen, unser Autoverleiher Marco – dem wir noch von Frankfurt aus geschrieben hatten, dass es etwas später würde – wartete bereits, um uns den Mietwagen zu übergeben. Alles im Plan. Und eine Viertelstunde danach standen wir bereits vor dem Ferienhaus. Und es erwies sich als ausgezeichnete Wahl.
Eine gut ausgestattete Küche (mit Kaffeemaschine!), Terrassen nach zwei Seiten – man konnte sich also je nach Sonnenstand und Laune mal da, mal dort niederlassen, ein schöner Garten, Parkplätze vor der Tür. Und dann begrüßte uns noch eine etwas distanzierte, aber nicht unfreundliche Katze, als wir eintrafen. Fürs Abendessen hatten wir uns bereits entschieden, dem „A Traineira – Restaurante & Marisqueria“ in Caniço de Baixo einen Besuch abzustatten. Es waren Lapas auf der Karte, sodass das schon mal gesetzt war. Vorher schauten wir uns die ein paar Schritte die Straße hinunter gelegene „Bar Rodrigues“ an. Sie wird von zwei nicht mehr ganz jungen Schwestern geführt und wurde allseits gelobt. Der richtige Ort für den ersten Poncha des Lebens!
Der Abend endete perfekt. Ein Poncha für mich, ein Coral für den Herrn. Dazu ein paar Nüsschen aufs Haus. Wir wechselten den Ort und es ging genauso angenehm weiter. Der Poncha-Premiere folgte eine Bolo-de-Caco-Premiere. Es folgten Miesmuscheln (Mexilhão à Bolhão Pato), Lapas (Lapas grelhadas c/ molho de alho), Garnelen (Gambas à Traineira) und Reis mit Meeresfrüchten (Arroz à Madeira com Mariscos). Nach dem Essen schleppten wir uns und unsere überfüllten Mägen bergan zu unserer Unterkunft. An Steigungen mangelt es auf Madeira definitiv nicht.
So erfolgreich der erste Tag verlaufen war, so schockierend begann der zweite. Der Gatte brach recht früh zu seinem ersten Tauchgang auf. Ich packte erstmal in Ruhe alles aus, das noch nicht ausgepackt war. Unter anderem natürlich den Kamerarucksack. Beim Herausnehmen der Kamera fiel der On/Off-Drehknopf ab. Natürlich in Off-Stellung. Totalausfall. Und das am ersten richtigen Urlaubstag. Entsetzen pur.
Ich verbrachte die Stunden bis zur Rückkehr des Gatten mit allerlei Recherchen. Klar. Ich könnte sie einschicken. Zu Canon nach Lissabon. Bis sie zurück käme, wären wir allerdings vermutlich wieder in Deutschland. Eine Reparatur vor Ort kam nicht in Frage wegen der Garantie. Es kam, wie es bereits einmal gekommen war: Ich brauchte Ersatz. Sofort. Hier. Hilfe!
Der Gatte fand mich nach seinem ersten Tauchgang in recht desolatem Zustand vor. Wieder einmal. Es bleibt ihm echt nichts erspart. Nach einer intensiven Google-Recherche, einer Mail an unserem Kamerahändler in Deutschland und allerlei tröstenden Worten war ich wieder in der Lage, mich maulend durch Caniço de Baixo zu bewegen, ein Stück an der Küste entlang zu flanieren und unter andauerndem Genöle ein paar Handyfotos zu machen. Entwürdigend irgendwie…
Vor dem Abendessen kehrten wir kurz in der „Bar Rodrigues“ ein. Bereits am zweiten Abend fanden wir, das könnte das Zeug zu einer netten Tradition haben. Der Poncha beruhigte mein durch die Kamera-Havarie strapaziertes Nervenkostüm etwas. Anschließend liefen wir zum „Laranjinha“, das wir uns ebenfalls bereits von Deutschland aus vorgemerkt hatten.
Ich bekam noch einen Poncha – schien gerade so gut zu wirken… – und der Gatte testete einen zehn Jahre alten Madeira. Die Entradas auf der Karte lasen sich sensationell. Ich nahm den Lachs, der Gatte die Crocante.
Es folgten der Kabeljau von der Tageskarte für mich und ein vegetarisches Gericht mit Linsen für den Gatten. Dazu einen Wein von der Insel.
Der Tag war vorerst gerettet. Wir schleppten uns erneut bergauf Richtung Unterkunft.
Am nächsten Tag war Sonntag. Die Tauchbasis war geschlossen. Ebenso alle Kameraläden der Insel. Was nicht geschlossen war, waren die Wanderwege an den Levadas entlang. Ohne Kamera zwar nur der halbe Spaß, aber gut…
Kleiner Exkurs zum Thema „Levada“: Der entsprechende Wikipedia-Artikel gibt einen guten Überblick. Obwohl wir vorher nie auf Madeira gewesen waren, waren wir bereits zweimal an Levadas, schmale Kanäle, die das Quellwasser von den Bergen in die bewirtschafteten Gebiete der Insel befördern, entlang gewandert – beide Male auf São Miguel, der größten Azoreninsel. 2014 mit weniger, 2015 mit mehr Erfolg.
Wir entschieden uns für die Levada Nova und starteten in Prazeres. Von dort aus liefen wir bis hinter das hübsche Wasserhäuschen mit dem kleinen, gepflegten Garten. Das Tor stand offen, sodass wir direkt den Garten queren konnten. Ein Stück dahinter schien allerdings der landschaftlich spektakulärste Teil der Wanderung beendet. Wir drehten um und gingen zurück. Der Weg ist wirklich wunderschön. Massen von Agapanthus, Hortensien und Fuchsien am Rand. Dazu durch Eukalyptus- und Lorbeerwald viele schattige Passagen. Empfehlenswert – auch wenn die Handyfotos nicht die wahre Schönheit wiederzugeben in der Lage sind.
Unterwegs wurden wir noch von einer außerordentlich dreisten Mauereidechse regelrecht belästigt. Ein völlig unerwartetes Verhalten für eine Eidechse. Vermutlich war sie von Touristen angefüttert worden – aber womit?!
Nach den 20.000 Levada-Schritten des Tages hatten wir uns unseren traditionellen (am dritten Tag darf man das sagen, oder?) Poncha in der Bar Rodrigues vermutlich verdient. Anschließend reichte die Kraft gerade noch für die ein paar Häuser entfernt gelegene Pizzeria und den ebenen (!) Heimweg. Und davon gibt’s nicht mal Handyfotos.
Auf den Sonntag folgte ein Montag. Die Geschäfte hatten wieder geöffnet! Ich besann mich auf mein zu diesem Zeitpunkt größtes Problem: den Untergang der Kamera. Dank einer „Comet“-Filiale in Inverness hatte ich es im Schottland-Urlaub gelöst. Diesmal war die Herausforderung allerdings eine andere. Die defekte Kamera ist eine EOS R6, da ich inzwischen auf die R-Serie umgestiegen war. Damit waren meine Objektive für eine kleine Ersatz-DSLR nicht mehr benutzbar. Wir fanden in Funchal einen Elektronikmarkt mit Fotoabteilung. Außer einigen M-Modellen und kleinen DSLRs war aber nichts vorrätig. Oder erst in einer guten Woche. „There is an ocean between us and the mainland…“
Heulen und Zähneknirschen trotz einer außerordentlich freundlichen und extrem hilfsbereiten Beratung im „fnac“. Wir fanden uns googlend auf der Bank vor dem Laden wieder. Der Gatte tat eine Alternative im gleichen Einkaufszentrum auf: „Worten“. Das war’s dann aber auch schon an Alternativen in Funchal. Und damit auf ganz Madeira. Wir liefen hin. Von außen wirkte der Laden wesentlich weniger brauchbar zur Lösung unseres Problems – aber so kann man sich täuschen! Die äußeren Werte waren mal wieder nicht das, worauf es ankam. Eine EOS RP. Auch noch 30 Euro günstiger als bei „fnac“. Uuund: Sie sei zwar nicht vorrätig, aber in drei Tagen da, wenn wir sie wollten. Und wie WIR sie wollten. Also ich. Total. Licht am Ende des Tunnels! Tränen der Rührung und so.
Wir erledigten noch Lebensmitteleinkäufe und machten uns anschließend einen netten Abend auf der Terrasse bei Brot, Oliven, azoranischem Käse und „Santa Catarina„-Atum. Ohne Poncha. Die „Bar Rodrigues“ ist nämlich montags geschlossen. Pfff!