Gestern war mal wieder Revolution Evening mit Billy Bragg. Sind wir eigentlich mittlerweile so eine Art Elder Groupies? Ich wahrscheinlich schon. Ich musste gerade nachschauen, wann das für den „Rockpalast“ aufgezeichnete Konzert in der Zeche Bochum tatsächlich stattfand – und lag mit meiner groben Schätzung nicht mal so schlecht: Es war 1985. Ich kam spät nach Hause an diesem Abend (ich war gerade noch so 16…) und schaltete, den winzigen tragbaren Schwarz-weiß-Fernseher in meinem Zimmer an. Und stieg etwa beim vierten Song ein: „The Man in the Iron Mask“.
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Ab da saß ich mit offenem Mund hellwach – mitten in der Eifel! – vor meiner Schrottglotze und schaute mir das Konzert total gebannt bis zum Ende an. Dieser sehr ärgerliche Kerl begeisterte mich. Aus dem Stand. Und ab da begleitete er mich in all den Jahren zwischen 1985 und 2017 permanent. Ich habe alle Platten. Ich kann alle Texte auswendig – in breitestem Cockney, wenn es sein muss. Ich dudelte während meiner Thekenzeiten sein „Don’t try this at home“-Album so lange im Mainzer „Brando“ (R.I.P.), bis selbst hartgesottene „Guns’n’Roses“-Fans nach Autorepeat schrien.
Klappte übrigens nach zahlreichen Wiederholungen auch mit „Bad Religion“ und „Danzig“. Und ansatzweise mit „Hüsker Dü“. Nach dem durchschlagenden Radioerfolg von R.E.M.s „Losing my Religion“ galt ich kurzfristig auch mal als Visionärin, weil ich schon Jahre zuvor das Hard-Rock-Publikum mit zum Beispiel „Gardening at night“ oder „Driver 8“ terrorisiert hatte. Es blieb bei weniger als Fifteen Minutes of Fame. Wir wurden immerhin in einer Ausgabe des Kneipenführers „Wenn die Nacht den Doppelkorn umarmt“ in einer für mich erfreulichen Art und Weise annähernd „gehypet“.
Zurück zum gestrigen Abend. Er startete mit der Eroberung unserer Plätze in der zweiten Reihe und Paddy Nash. Er stand da, wo er stand, weil er mit seiner Band „The Happy Enchiladas“ mal eine Single namens „Billy Bragg Jeans“ veröffentlicht hatte. Der Song ist leider ein echter Ohrwurm, der mich seit gestern permanent verfolgt. Und seine Frau – die Sängerin – klingt fast wie Kirsty McColl. Irgendwie.
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Billy Bragg startete dann mit „Sexuality“. Und ich werde ihn immer allein für die lustigen textlichen Modifikation darin lieben. Und für die in „Great Leap forwards“. Jedenfalls war das diesmal etwa so:
„Sexuality
Strong and warm and wild and free
Sexuality
Your laws do not apply to me
Sexuality
Don’t threaten me with Morrissey
Sexuality
I demand equality“
Btw: Das ist ein Bragg / Marr-Song. Etwas später folgte zum Thema noch ein tiefer Seufzer: „Morrissey – what the fuck happenend to him?!“ Ich dachte kurz an Piti – und konzentrierte mich dann wieder auf Billy. Sorry.
„The Man in the Iron Mask“ gab es übrigens auch. Die „Batschkapp“ – also die neue, nicht die alte – war am Ende ziemlich voll. Und bei „A New England“ sangen alle mit. Sogar ich. Und sogar die ahnungslosen jungen Menschen, deren Gespräch ich kurz belauscht hatte, und die meinten, das sei ja mehr eine Ü40-Veranstaltung (wenn die wüssten… 😀 ) und sie würden leider nur einen Song kennen. Aber egal. War mir übrigens nicht klar, dass „A New England“ praktisch als Smash-Hit unter Hipsters gilt.
Der Heimweg war dann leider gruselig. An der U-Bahn-Station war der Fahrkarten-Automat defekt, was dazu führte, dass ich bis zur Konstablerwache ohne Fahrschein – aber mit Handybeweisfotos des defekten Automaten im Gepäck fuhr. Der Erwerb eines gültigen Fahrscheins sorgte dann schließlich dafür, dass wir erst mit der zweitmöglichen S-Bahn weiterfahren konnten. Die verpasste allerdings aufgrund einer 14minütigen Verspätung dann leider knapp den Anschluss an die HLB (Hessische Landesbahn) in Niedernhausen. Dammit!
Niedernhausen. Wir verließen im Schneetreiben und bei Temperaturen um den Gefrierpunkt den Bahnsteig. Die nächste HLB sollte in etwa 55 Minuten eintreffen. So ein Dreck! Prinzipiell hätten wir wegen der Verspätung die Taxikosten von der Bahn zurückfordern können. Problem: In Niedernhausen gab es kein verfügbares Taxi. Null. Niente. Nada.
Wir liefen ein wenig herum – in der vagen Hoffnung, eine noch geöffnete Kneipe o.ä. zu finden. Fehlanzeige. Am Ende verbrachten wir die Wartezeit in der SB-Zone der Naspa (einer der deprimierendsten und zugleich erniedrigendsten Momente meines bisherigen Lebens), weil es sich dabei um den einzigen Ort in ganz Niedernhausen handelte, an dem öffentlich zugängliche Temperaturen über dem Gefrierpunkt herrschten.
Als wir kurz vor Ankunft des Zuges wieder am Bahnhof eintrafen, lachten wir uns angesichts der liebevollen Bemalung in der Unterführung (s.o.) etwa zehn Minuten lang schlapp. Das hielt warm bis zur Ankunft unserer Bahn.
Zu Hause waren wir dann etwa um 1:20 Uhr. Keine Ahnung, wann ich zuletzt um diese Uhrzeit wach gewesen bin. Von kurzen Anfällen seniler Bettflucht einmal abgesehen. Egal. Hat sich gelohnt. Selbst das Fast-Erfrieren.
Immerhin habe ich die „Bridges Not Walls“-EP abgeschleppt. Und – !!! – ein Billy Bragg-Tea-Towel (s.g.o. = siehe ganz oben)! Läuft gerade für mich. Sage ich mal.
Ich kenn‘ zwar auch nur das eine Lied von Billy Bragg, aber wenn ich einen Soundtrack zum Abenteuer in Niedernhausen vorschlagen darf… https://www.youtube.com/watch?v=0KhcV2wxTt8
Auf New Model Army können wir uns jederzeit einigen. Passt