Irgendeine Perversion treibt jeden um. Und manchmal muss man auch mal offen darüber reden können. Das befreit ungemein. Dem ein oder anderen wird meine seltsame Vorliebe für nicht mehr ganz aktuelle Kochbücher ohnehin nicht entgangen sein. Zu Weihnachten gesellte sich ein weiteres Werk meiner sorgsam in der hintersten Regalecke platzierten Sammlung hinzu: „Gut gekocht für meine Gäste“ heißt es. Untertitel: „Ein kulinarisches Handbuch für perfekte Gastgeber“. Na, wenn das mal keine klare Ansage ist!
Überreicht wurde es mir aus dem Fundus meiner Mutter. Es stammt aus dem „Verlag Das Beste“ und wurde im Jahr 1983 erstveröffentlicht – und ich muss sagen: Jedes Kapitel ein Volltreffer!
Gut. Beim Vorwort bin ich kurz zusammengezuckt, sieht doch die Autorin wie ein eineiiger Zwilling meiner ehemaligen Schulleiterin Walburga H. an der Hauswirtschaftsschule in Mayen aus. Auch der Text würde passen. Von der Weste ganz zu schweigen…
Aber jetzt flott das in die Netzhaut eingebrannte Bild der Marianne K. mit Bildern von Katzenbabies und Sonnenuntergängen am Meer überkodiert, tief durchgeatmet – und mitten hinein das opulente Werk!
Das mittlerweile traditionelle „Das ist der letzte Arbeitstag im Jahr und da frühstücken wir mal zusammen“-Büffet mit dem Kolleginnen gestern hatte von allem etwas: exquisites Essen, dass genossen (oder gar zelebriert!) wurde, angeregte Gespräche, gesellschaftliche Pflicht (der Chef war dabei) – und natürlich Gemütlichkeit (!), die ohne den ‚ungezwungenen Schmaus (…), der weder den Geldbeutel (…) zu stark belastet, noch übermäßig Zeit kostet‘ natürlich kaum aufkommen will.
Offensichtlich hatte ich den Teil mit dem nicht zu großen Zeitaufwand nicht verstanden. Mein Beitrag (bzw. meine Beiträge) ketteten mich am Vorabend nach meiner Heimkehr bis 22 Uhr an Herd und Ofen, während der Gatte irgendwann verzweifelt das Haus verließ, um sich Brötchen beim Bäcker zu organisieren, damit er nicht verhungerte.
Morgens zog ich dann beladen mit verschiedenen Plastikcontainern Richtung Büro. Eigentlich war das aber auch mehr eine „Surprise-Party“, wie sie auf Seite 11 meines neuen Ratgebers beschrieben wird: „Man lädt gute Freunde und unkomplizierte Bekannte ein, und jeder bringt etwas mit.“ Genau! „Was das Essen angeht, sollte man dafür sorgen, dass ein möglichst kunterbuntes Büffet entsteht. Das sieht sehr lustig aus, und jeder Beteiligte hat Spaß daran, wenn er seine eigenen Kreationen vorführen kann.“ Die Sache mit dem ‚kunterbunten Büffet‘ klappte schon mal hervorragend:
Auf die Schweinereien in Häppchenform komme ich bei Gelegenheit nochmal zurück. Ebenso auf das Thema Spundekäs‘. Auf die für die „Surprise-Party“ empfohlene „Mitternachtssuppe“ verzichteten wir allerdings, da wir irgendwann in 2017 dann auch mal nach Hause wollten.
Jetzt aber erstmal weiter im Text von Frau Kaltenbach! Widmen wir uns einmal dem Kapitel „Wichtigen Besuch ohne Aufregung empfangen“, meinem Lieblingskapitel übrigens. Ein Kapitel wie ein übernervöser Traber in der Startbox von Ascot.
„Der eigene Chef (eher nicht!), der des Ehepartners (ganz bestimmt ganz und gar nicht!!) oder wichtige Geschäftsfreunde (äääähhh… nein…!!!) werden erwartet, und selbstverständlich sollen sie nach allen Regeln der Kunst verwöhnt werden. Oder andere hochgestellte Persönlichkeiten (Jan Ullrich?! Helene Fischer?! Oder gar das Kanzlerin?!), denen man sich als Gastgeber von seiner besten Seite zeigen möchte, müssen empfangen und bewirtet werden.“
Ich persönlich glaube, dass mich dieses Kapitel wohl eher nicht – oder erst, wenn die Hölle zufriert – betreffen wird. Sollte allerdings die Oscarverleihung in absehbarer Zeit nach Taunusstein-Neuhof verlegt werden, würde ich eventuell darüber nachdenken, Susan Sarandon zu empfangen. Oder – wenn es unbedingt sein muss… – auch Jeff Bridges.
Und was würde man denen wohl servieren? Sicher nicht die Fischsuppe Marius (Seite 75). So weit kommt es noch! Marius?! Am Ende gleich den Hummer Kevin oder die Crevetten Mandy?!?! Vielleicht aber das Hähnchen Côte d’Azur von Seite 83? Das klingt so herrlich chic und retro-kosmopolitisch. Und das Rezept macht auch gar nicht mal sooo einen schlechten Eindruck…
Notfalls kann man bei einer solchen Gelegenheit ja auch auf Rezepte aus dem Kapitel „Anspruchsvolle Menüs für Feinschmecker“ zurückgreifen. Da käme dann auch die Kalbshaxe Manfredo ins Spiel (s.o.). Was mir übrigens am besten an diesem Buch gefällt, ist die Ästhetik der Fotos. Fresien auf dem Tisch! Gibt’s die überhaupt noch? Und dann die herrlichen Garnituren mit Ananas und Dörrpflaume (exotisch!), Dosenpfirsichen (noch exotischer!!) oder Avocado (der Inbegriff der Exotik in den 80ern!!!).
Damals wurden halt noch nicht für jedes Instagramfoto Avocados zerquetscht oder in Rosenform geschnippelt. Und das ohne Rücksicht auf Verluste. Wollte ich übrigens immer schon mal verlinken: Zeit-Artikel „Das Märchen von der guten Avocado“. Seitdem like ich absichtlich keine Instafotos mit Avocado-Tags mehr. Und mal ganz ehrlich: Ich mag die nicht. Die schmecken nach nix. Die Konsistenz ist fies. Die sind genau solche Blender wie die Drachenfrucht oder die Papaya. Gehen komplett an mir vorbei, ohne dass ich es merke. Blödes, dekadentes Trendfood!
Dann lieber Dosenpfirsichspalten auf Schweineschnitzel werfen. Oder Küken in Armagnac. Und dabei diabolisch lachen. Aber echt! So. Abreagiert. Weiter geht’s.
Am Kapitel „Verlockende Gerichte für das Essen zu zweit“ fasziniert mich besonders das Kapitelfoto. Pudding in Herzform mit Himbeergarnitur, Spitzendeckchen, Kaffee, Cognac und Porzellanturteltäubchen – geniale Kombi für ein gelungenes „Tète-à-tète“. Vielleicht eine nette Anregung für den Valentinstag 2018? Notfalls halt mit mehr Cognac!
„Wichtig ist auch der Rahmen: gedämpfte Beleuchtung, vielleicht Kerzenschein, ein besonders hübsch gedeckter Tisch – alles trägt dazu bei, die richtige Atmosphäre zu schaffen.“ Und dann „Bääähm!!!“ – der Vanillepudding! Wenn das die Erotik nicht auf die knisternde Spitze treibt, dann weiß ich es auch nicht. Dann stimmt da vielleicht auch etwas anderes nicht. Etwas, das auch „mehr Cognac“ nicht ausgleichen kann.
Dann kann nur noch das Dessert „Kaltes Herz“ (Seite 176) als Abschluss des Essens in Betracht gezogen werden. Und tschüss!
Alles in allem ist das Buch genial. Die Texte unterhaltsam, die Fotos von angenehm unaufgeregtem 80er Chic, die Gerichte teilweise sogar interessant, weil für die Entstehungszeit des Buchs schon recht ambitioniert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der DD (= Durchschnittsdeutsche) im Jahr 1983 wusste, wo er Roquefort, Avocado, Ananas oder Garnelen einkaufen konnte. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich aus der Eifel komme.
Und weil das so ist, werde ich jetzt auch gleich zum Thema „Verlockende Gerichte für das Essen zu zweit“ einen Linseneintopf ansetzen. Ich glaube, dann klappt das auch ohne Cognac und Turteltäubchen mit dem häuslichen Frieden.