Diesen Artikel schiebe ich schon lange vor mir her, obwohl ich weiß, dass ich ihn schreiben will. Falsch. Ich MUSS ihn schreiben. Aber wo anfangen? Ich weiß es nicht. Mein treuer Begleiter über viele Jahre, mein Gesinnungsgenosse, mein Seelenverwandter, mein unbarmherziger Winterpokal-Teamchef und auch mein bester Freund ist weg. Ende letzten Jahres starb er den Tod, den er sich – wenn er es sich hätte aussuchen können – sicher gewünscht hätte. Er verließ diese Welt auf dem Rad. Leider viel zu früh.
Am vergangenen Wochenende dann haben wir ihn beerdigt. Im ganz kleinen Kreis – mehr ließ dieses verdammte Virus ja nicht zu. Ich traf Menschen, die ich jahrelang nur aus seinen Erzählungen kannte. Und wir saßen anschließend noch zusammen. Das brauchte es einfach. Und ich bin sicher, das hätte ihm sehr gefallen.
Wenn ich ihn beschreiben soll, weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Wir lernten uns vor nun fast zwanzig Jahren in einem Radsportforum kennen. Seine Berichte von Rennen und Radurlauben sind legendär. Er schrieb ganz wundervoll – böse, witzig, selbstronisch, intelligent – und er war immer auf der „richtigen“ Seite. Er hasste Aufschneiderei, Prahlerei, den Kapitalismus und seine Profiteure, Dummheit und Ignoranz. Und ich habe ihn dafür bewundert. Für seine Konsequenz und seine Unerbittlichkeit. Und dafür, dass er stets wütend blieb. Das bleiben nämlich die wenigsten von uns über die Jahre. Die meisten werden müde. Er nicht. Nicht in dieser Hinsicht.
Fangen wir aber mal mit dem Schreiben an. Ein Rennbericht von ihm brachte mir immerhin den ersten Heiratsantrag meines Lebens ein. Eher scherzhaft, aber er zog sich als eine Art „running gag“ durch all die Jahre, die folgten.
Diesen Rennbericht („Die verf***te 13“) – wie auch alle anderen literarischen Hinterlassenschaften – habe ich jetzt erstmal für die Nachwelt hier festgetackert. Ende der 2000er sollten die meisten davon eigentlich im Covadonga-Verlag als Buch erscheinen, aber dazu kam es dann im letzten Moment doch nicht. Einige der Texte konnte ich nicht mehr retten – ich habe sie damals alle Korrektur gelesen. Ein Mailproviderwechsel genau in dieser Zeit hat dafür gesorgt, dass sie leider für immer verloren sind.
Die mittlerweile nicht mehr aufrufbaren Geschichten auf C4F ließen sich (bedrohlich und gleichzeitig beruhigend: Das Internet vergisst nichts!) zumindest noch rekonstruieren. Und so habe ich versucht, alles irgendwie zusammenzubasteln. Dem Ergebnis habe ich eine Extra-Seite – Farewell Joaquin! – gegönnt.
2008 trafen wir uns dann nach Jahren des Hin- und Herschreibens erstmals persönlich. Am Ruppertshainer anlässlich des Henninger-Turm-Rennens. Er sorgte für die Fahrbahnbemalungen, während ich mich aufs Fotografieren konzentrierte. Das war ein schöner Tag. Und immerhin auch das letzte echte „Rund um den Henninger Turm“. Anschließend wurde es erst in „Eschborn-Frankfurt City Loop“ und kurz danach in „Rund um den Finanzplatz Eschborn–Frankfurt“ umbenannt. Ich glaube allerdings, Achim hätte nach der letzten Umbenennung freiwillig auf eine Wiederholung verzichtet. Schon wegen des Namens.
Zuletzt trafen wir uns anlässlich unseres Norwegen-Urlaubs 2017. Unser Flug ging ab Berlin und so hatten wir uns am Abend vor dem Abflug zum Essen verabredet. Wir saßen sehr lange an diesem Abend zusammen. Auf jeden Fall so lange, wie wir es mit unserem Gewissen vereinbaren konnten. Der Wirt der „Blauen Tische“ in Neukölln war zwar zu höflich, um uns zum Gehen aufzufordern, aber wir hatten ja Anstand und gönnten ihm irgendwann seinen wohlverdienten Feierabend, als es bereits seit Stunden keine anderen Gäste als uns mehr gab.
In all den Jahren müssen wir Tausende und Abertausende von PNs bei C4F geschrieben haben – auch als ich längst nicht mehr im Forum aktiv war. Viele davon habe ich archiviert. Ich lese sie jetzt nach und nach. Und es ist unfassbar, wie nah man sich schreibenderweise kommen kann. Ich glaube allerdings schlichtweg, dass das von Anfang an einfach unser Biotop war.
Achim, ich werde dich immer vermissen. Da bin ich sicher. Jeden einzelnen Tag. Und ich werde mir vermutlich nie verzeihen, dass ich am Ende in meinem eigenen kleinen Elend aus Überarbeitung und Alltagsstress nicht da war, als du mich gebraucht hättest.
Und es bleiben genau die Worte aus seinem Totensonntagspost von 2010 – Goethe an Ulrike (wenig Traurigeres wurde je geschrieben):
„Ach, liebe Ulrike, ich passe nicht unter die Menschen, es ist eine traurige Wahrheit; und wenn ich den Grund ohne Umschweif angeben soll, so ist es dieser: sie gefallen mir nicht. […] Indessen wenn ich mich in Gesellschaft nicht wohl befinde, so geschieht dies weniger, weil andere, als vielmehr weil ich mich selbst nicht zeige, wie ich es wünsche. Die Notwendigkeit, eine Rolle zu spielen, und ein innerer Widerwillen dagegen machen mir jede Gesellschaft lästig, und froh kann ich nur in meiner eignen Gesellschaft sein, weil ich da ganz wahr sein darf.“
Dazu Nico, an deren Grab er an diesem Tag war: „Janitor of Lunacy“
Ich bin sicher, du hast jetzt die perfekte Übersetzung gefunden – für alles. Du wirst mir sehr fehlen.
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Eine angemessene Würdigung; gut, dass du die passenden Worte gefunden hast. Ich bin mir sicher, Achim war noch nicht bereit dafür, deshalb kann auch die so passende Art seines Abgangs nur ein schwacher Trost sein.
Ich weiß gar nicht, ob ich ihn für die ausführliche oder die zu Unrecht zu wenig geachtete kurze Form seines Geschriebenen mehr geschätzt habe.
Euch beiden werde ich auch immer dafür verbunden sein, dass ich in einer Zeit, zu der ich die Motivation sehr gut brauchen konnte, bei der coolsten, bösesten und witzigsten Winterpokal-Gang aller Zeiten mitmachen durfte. <3
danke. ich hoffe, ich wurde ihm halbwegs gerecht. falls nicht, wird er es mir hoffentlich verzeihen.
cool, böse und witzig – in der tat. das waren wir livewrongs. natural born hetzer, hexenverbrenner aus leidenschaft 😀
apropos motivation: wo ist meine eigentlich?