Nix da „Ruhetag“. Sowas kennt Neuneinhalb-Finger-Joe nicht. Neuneinhalb-Finger-Joe heißt Neuneinhalb-Finger-Joe, weil er sich samstags beim Wurzelgemüseschnippeln für die Hühnersuppe ein Scheibchen von seinem linken Daumen runtergeschnitten hat. Als es nach drei Stunden immer noch durch die Pflaster blutete, wurde sein Kumpel Smart Jim etwas nervös: „Wenn ich gerne Blut sehen würde, wäre ich Arzt geworden.“ Nicht hilfreich, aber wahr.
Joe wies die Idee, ein Krankenhaus aufzusuchen, natürlich trotzdem vehement von sich. Er war vom Dorf. Da ging man erst zum Arzt, wenn einem der Pflug das halbe Bein abgetrennt hatte. Inklusive Knochen. Nicht für einen Finger. Und erst recht nicht für ein Stück Finger. Pah!
Joe war der Meinung, dass er die Hühnersuppe zu Ende bringen musste. Und dass sich ja schließlich noch ein ausreichender Vorrat an Fingerpflastern und Gummihandschuhen im Haus befände. Und so lange das so sei, sei ein Arzt verzichtbar. Smart Jim resignierte.
Irgendwann – kurz bevor die Hühnersuppe auf den Tisch kam, war die Blutung gestillt. Zumindest musste das Pflaster nicht mehr alle zehn Minuten gewechselt werden. Ein Fortschritt!
Die Hühnersuppe wärmte Herz und Seele. Ermattet von der nach wie vor in seinem Körper wütenden Männergrippe – und zudem etwas blutleer – sank Neuneinhalb-Finger-Joe anschließend aufs Sofa. Sein letzter Blick vor dem Wegdämmern galt der Anbauanleitung der Kommode.
Und sein erster Blick am Morgen ebenfalls. Noch bevor er einen Blick auf seinen Daumen riskierte, der aber einen besseren Eindruck als am Vortag machte.
Anschließend wurde das beigelegte Montagematerial einer genauen Sichtung unterzogen. Alles da. Sogar mehr als alles. Von allen Kleinteilen lagen Ersatzstücke bei. Hervorragend. Neuneinhalb-Finger-Joe war begeistert.
Und er startete durch. Zwischendurch erhielt er nützliche Ratschläge von Smart Jim: „Nach ‚fest‘ kommt ‚ab'“ zum Beispiel. Traditionell wurde ein Fehler gemacht. Keine Montage ohne Demontage!
Bei Punkt fünf der Aufbauanleitung verfranste sich Joe bei der mittleren Trennwand und setzte sie falsch herum ein. Ein Fehler, der sich aber – als er bei Punkt sechs offenkundig wurde – noch korrigieren ließ. Puh!
Am Ende stand das Ding. Die Türen werden noch nachjustiert werden müssen, wenn es am endgültigen Platz stehen wird, aber darüber kann man ja erstmal generös hinwegsehen. Neun-Finger-Joe sowieso.
Und wo er nun Erkältung, Daumenamputation und Kommodenaufbau bravourös überstanden hat, spendiert er sein Hühnersuppenrezept. Sein lebensrettendes Hühnersuppenrezept.
Zutaten
- 1 Suppenhuhn (etwa 1,5 kg)
- Öl zum Anbraten
- 2 Zwiebeln, halbiert
- 3 l Wasser
- reichlich geschnippeltes Gemüse (Fenchel, Stauden- und Knollensellerie – inklusive Grün, Lauch, Karotten, Pastinaken – was so verfügbar ist)
- 2 gequetschte Knoblauchzehen
- 1 ordentliches Stück Ingwer in Scheiben
- Salz, Pfeffer
- Nelken, Kreuzkümmel, Ras el-Hanout, Chili, reichlich Safran, Lorbeerblätter, Piment
- Frühlingszwiebeln, Karotten – in Scheibchen
- Suppennudeln oder sonstige Einlagen
Anleitung
- Wie das halt so geht: Zwiebeln habieren und äußerst scharf anbraten, Huhn dazu, mit Wasser aufgießen. Gemüse zugeben, Gewürze einstreuen. Sanft köcheln lassen. Nach etwa vier Stunden Huhn befreien, etwas abkühlen lassen und entbeinen. Fleisch in mundgerechte Stücke schneiden. Beiseite stellen.
- Suppe durch ein Sieb geben, Gemüse ausdrücken. Suppe wieder erhitzen und weiter einkochen lassen. Fleisch wieder zugeben. Abschmecken. Abschmecken. Und nochmals – und immer wieder - abschmecken.
- Kurz vor Ende der Kochzeit Frühlingszwiebeln und Möhrenscheibchen zugeben. Parallel Nudeln kochen. Nudeln in die Teller geben, Suppe darüber gießen.
Und morgen wird er versuchen, Tapeten anzubringen. Mit neuneinhalb Fingern. In Gummihandschuhen. Und er wird gereizt sein. Don’t mess with Neuneinhalb-Finger-Joe!
Wieder mal kurz vorm Einschlafen kräftig gekichert. Gemach, gemach – Daumen wachsen nach.