Am nächsten Morgen brach der Gatte wie gewohnt Richtung Meer auf. Er hatte sich gleich zwei Bootstauchgänge geschnappt, tauchte also – abgesehen von einem kurzen Mittagsstopp – erst spät nachmittags wieder auf. Wortwörtlich. Ich las. Blöderweise waren an dieser Stelle auch die drei mitgenommenen „Leichte Urlaubslektüre…“-Bücher durch. Für den Rest des Urlaubs blieben also noch Bini Adamczak, die Reiseführer und ein sehr lustiges Buch mit dem Titel „Wohl bekam’s! – In hundert Menüs durch die Weltgeschichte“, in dem ich etwas zu schmökern gedachte. Aus Gründen.
Der Tag erhielt dann abends noch eine sehr traurige Wendung. Die schlechten Nachrichten aus der Heimat erreichten uns im „A Traineira“ (das Essen war bereits bestellt) beim ersten Glas Wein. Es blieb nicht bei einem Glas.
Wir wechselten nach dem Essen in die „Bar Rodrigues“ und saßen bis zum Einbruch der Dunkelheit unter altem Wein und tranken Poncha. Und gaben uns einem der schönsten und unübersetzbarsten Worte der Menschheitsgeschichte hin: Saudade – „das Glück der Erinnerung und die Traurigkeit der Abwesenheit“ war die schönste Umschreibung, die ich gefunden habe.
„Saudades, só portugueses
Conseguem senti-las bem.
Porque têm essa palavra
para dizer que as têm.“ – Fernando Pessoa
(Übersetzung: „Saudade – nur Portugiesen können dieses Gefühl kennen. Weil nur sie dieses Wort besitzen, um es wirklich beim Namen zu nennen“). An diesem Abend waren wir Portugiesen.
Am nächsten Morgen erreichte mich in aller Frühe eine Mail: „Olá Manuela, Ja´está disponível levantamento a tua encomenda na loja WRT Madeirashop.“ Die Kamera bzw. die Máquina Fotográfica! Sie war abholbereit. So ging es nach des Gatten Rückkehr vom Tauchen gleich nach Funchal. Da die Kamera natürlich mit leerem Akku ausgeliefert wurde, gibt es auch von diesem Tag nur Handyfotos. Aber nun war zumindest Land in Sicht.
Wir besuchten anschließend noch Funchal, liefen durch die Altstadt (die Rua de Santa Maria hinauf und hinunter), schauten uns die Markthalle („Mercado dos Lavradores“) an und landeten schließlich bei „Blandy’s“, dem ältesten Madeirawein-Produzenten der Insel. Achtung! Minimale Fotoeskalation!
Nach unserer Rückkehr in die Unterkunft und der vollständigen Akkuaufladung war es bereits zu dunkel für Fototests. Menno.
Am nächsten Morgen knipste ich etwas im Garten herum und verschob die intensivere Begutachtung der Máquina Fotográfica auf den Nachmittag und die geplante Levada-Wanderung. Die Levada do Rei stand auf dem Programm. Und nachdem die Levada Nova uns mit voller Agapanthus-Wucht getroffen hatte, hatten jetzt die Montbretien ihren großen Auftritt. Und Grün. Jede Menge wahnsinnig grünes Grün in allen nur denkbaren Schattierungen.
Wir starteten am Parkplatz in Quebradas vor der Quinta Levada do Rei. Die Einkehr hoben wir uns für später auf. Von dort aus ging es an einem Wasserhäuschen mit Picknickplatz kurz bergauf, um das Niveau der Levada zu erreichen. Es begann recht grün mit einigen Hortensien am Wegesrand.
Mit Monbretien rechneten wir zu diesem Zeitpunkt nicht. Aber wie eine Levada-Wanderung so ist: Es geht immer an der Levada entlang – und irgendwann kommen die Blümchen. In diesem Fall ging es durch einen dichten Lorbeerwald mit reichlich Farn am Wasserlauf.
An einer Stelle in einer Kurve gab es dann das ultimative Monbretien-Bäääm. Herrlich. Wir machten mittendrin eine kurze Pause und liefen dann den Weg weiter bis zum Wasserfall. Und dann zurück.
Unterwegs begegneten uns immer wieder Ranken mit sehr hübschen rosa Blüten. Irgendwann waren sie mal so dicht am Weg, dass mir ein Foto gelang (unten rechts). Es handelt sich – eine Recherche im Rother-Naturführer „Madeiras Flora“ brachte die Lösung – um eine Art wild wachsender Maracuja. Um genau zu sein um eine Bananen-Maracuja. Da sie geschmacklich bei weitem nicht an die reguläre Maracuja herankommt, erfreut sie sich auch deutlich geringerer Beliebtheit. Is‘ klar. Trotzdem ausgesprochen hübsch.
Es gab zudem auch eine Reihe von Maronenbäumen. Da die Levadas sich in unterschiedlichen Höhenlagen befinden, wechselt die Vegetation natürlich auch von mal zu mal. Als wir am Ende wieder an der Quinta Levada do Rei eintrafen, beschlossen wir, das Abendessen dorthin zu verlegen. Es gab schließlich Lapas. Also wozu noch woanders hin gehen?!
Ich nahm vier Bolinhos de Bacalhao. Das Bolo de Caco war leider aus. Langte aber auch so. Während des Essens unterhielt uns das Getier, das offensichtlich dort wohnte. Mehrere Hühner und ein stattlicher Hahn, der mit seinem sehr flauschigen Lieblingshuhn eine Runde drehte und ein nettes, schwarzes Kaninchen mit einem Hängeohr. Das Leben war schön!
Am nächsten Tag ließen wir es langsam angehen. Die Levada Caldeirão Verde stand auf dem Plan, wobei Levada-Wanderung schon eine etwas übertriebene Bezeichnung ist. Ausgangspunkt war ein Parkplatz vor einer mittlerweile stillgelegten Ferienhaussiedlung aus verfallenen Santana-Häusern.
Da fragt man sich: „Was ist denn bitte ein Santana-Haus?!“ Namensgebend ist das Gebiet an der Nordküste Madeiras, in dem diese traditionellen Häuser mit Reetdächern bis zum Boden gebaut wurden. In der Stadt Santana selbst gibt es eine ganze Ansammlung zu bestaunen – inklusive Souvenirshops. Im Vorbeifahren sahen wir, dass es dort von Menschen nur so wimmelte, und beschlossen, es erstmal zu ignorieren.
Der Weg war flach, der Weg war breit. Es handelte sich eigentlich nicht um eine echte Levada-Wanderung, sondern mehr um einen Spaziergang. Das Schild kündigte es bereits an: „Um caminho para todos!“ Sehr angenehm zu gehen und dementsprechend beliebt.
Der Gatte echauffierte sich in bester Trump-Manier (Spiegel-Link) über den unordentlichen Waldboden und das herumliegende Laub der Eukalyptusbäume.
Der Weg endet mitten im Wald an einem riesigen Parkplatz, auf dem sich allerlei Wanderbusse ein Stelldichein geben. Die beiden reetgedeckten Häuser mitten im Wald dienen als Informationszentrum und Cafeteria – und als Ausgangspunkt einer weitaus längeren Wanderung, die zu den beliebtesten Levada-Wanderungen Madeiras zählt.
Wir sicherten uns zwei Plätze auf einer Holzbank. Der Gatte organisierte und zwei Bica und zwei Stücke Bolo de Queijo – kein Käsekuchen, sondern eher ein riesiges Pasteis de Nata. Wir aßen misstrauisch beäugt von einer veritablen Madeirafinkenschar, die vom Verhalten her dem von Spatzen vor deutschen Imbissbuden sehr nahe kommt.
Ein Tipp: Es gibt bei den Häusern einen Ententeich mit Zwergschweinestall. Leider erfuhren wir das erst, nachdem wir zurück am Auto waren. Es hätte ohnehin wenig Sinn gemacht…
Auf dem Rückweg stießen wir auf zwei fleißige Waldarbeiter, die sich mit Rechen der Laub-und-Waldaufräum-Sache angenommen hatten. Da wussten wir aber noch nicht, wie existentiell wichtig ein Rechen wirklich sein kann. Das erfuhren wir erst am folgenden Tag. Wenn das mal kein Cliffhanger ist!
Das Abendessen nahmen wir erneut im „A Traineira“ ein, den Poncha in der „Bar Rodrigues“.