Strand, mehr Strand und Garibaldis Strand

Der Sonntagmorgen – gleichzeitig die Halbzeit unseres Urlaubs – verging wie gewohnt: Der Gatte tauchte ab, während ich mich der Fotobearbeitung widmete. Als er zurückkehrte, schnappten wir uns die zur Unterkunft gehörenden Strandsachen und fuhren erneut zur Spiaggia di Monte Russu, einem sehr hübschen Strand in unmittelbarer Nähe.

 

Dort lagen wir in der Sonne, lauschten dem Meer und taten, was man am Strand so tut. Zwischendurch landete eine Wespe auf unserer Decke und wollte partout nicht wieder verschwinden. Stattdessen forderte sie mich zu einem Niederstarren heraus. Für eine von uns endete die Begegnung tödlich. Ich habe sie mehrfach zum Verlassen der Decke aufgefordert! Sie hat einfach übertrieben.

Nach einem bis auf die Wespenbegegnung praktisch herrlich ereignislosen Nachmittag gab es abends abermals Malloreddus mit Tomatensauce aus der heimischen Küche. Ein überaus entspannter Tag ging zu Ende.

Für den Montag hatte der Gatte selbstlos auf seinen Tauchgang verzichtet, wollten wir doch ein Segelboot – inklusive Besatzung natürlich – chartern und ein wenig durchs La Maddalena Archipel schippern. So ein Tag auf dem Wasser erhöht bekanntermaßen den Erholungswert eines Urlaubs enorm – siehe unsere Katamarantour vor Santorini. Und das tat er auch diesmal. Die Stunden vergingen wie im Flug.

Bevor wir allerdings zum Hafen von Cannigione aufbrachen, wurde vor dem Haus einer unserer drei Esel getätschelt. Der kleine, braune war mein Liebling. Beim nächsten Einkauf würde ich Karotten besorgen.

Es brauchte ein wenig Zeit, bis wir die Anlegestelle gefunden hatten, aber wir fanden sie. Und dann lernten wir die Besatzung kennen: Massimiliano, ein sehr netter Italiener, der seiner schwindenden Haarfarbe etwas nachzuhelfen schien. Floriano, der Capitano, der irgendwie etwas von Florian Silbereisen hatte. Als er sich vorstellte, musste ich doch grinsen. Sogar der Name! Und dann noch Manuela, meine äußerst lebensfrohe und rundum liebenswerte Namensvetterin.

Außer uns war nur noch ein weiteres Paar an Bord: Stephano aus Neapel, der etwas von einem sehr weißhäutigen Mafia-Buchhalter hatte, und dessen Lebensgefährtin, deren Namen wir irgendwie nicht erfuhren, die aber deutlich jünger war als er und aus Estland stammte. Eine durchaus bunte Schar waren wir auf diesem Boot, einem sehr hübschen Vintage-Einmaster.

Wir starteten also im Golf von Arzachena, segelten an der Isola Peccora und der Isola del Porco entlang und hielten für unseren ersten Badestopp an der Ostseite der Isola Caprera – zu der wir später noch kommen werden… In der Cala Brigantino hüpften erstmal alle bis auf mich und den Silbereisen ins Wasser. Ich fotografierte mich blöd und er bereitete den Aperitivo.

Es gab allerlei Häppchen und Salsiccia und Pecorino. Und einen gut gekühlten Prosecco. So konnte es weiter gehen. Wir erfuhren, dass die Cala Brigantino der Lieblingsstrand von Guiseppe Garibaldi gewesen war. Ein wenig Stolz schwang bei dieser Erklärung mit. Aber auch zum italienischen Volkshelden kommen wir später noch.

Floriano steuerte die Cala Coticcio und den direkt anschließenden Tahiti Beach an. Woher der Strand seinen Namen hatte, erkannte man auf den ersten Blick. Eigentlich wollten wir dort zu Mittag essen und noch eine Baderunde einlegen, aber die See war zu unruhig, um mit unserem Boot zu ankern.  Wir fuhren weiter zu einem Ausweichstrand in der Nähe, dessen Name mir aber nicht mehr einfällt.

Alle – diesmal inklusive mir – hüpften wieder ins Wasser. Die andere Manuela, die nicht schwimmen konnte, bewegte sich lachend in einem riesigen, aufblasbaren Doughnut fort. Wir schwammen Richtung Strand durch herrlich türkises Wasser. Und anschließend stürzten wir uns auf Florianos Penne mit Tomaten-Thunfisch-Sauce. Und auf den Vermentino. Uuund anschließend auf den Mirto! Endlich konnten wir ihn mal probieren, DEN sardischen Digestiv auf Myrtenbasis. Er war köstlich. Im Verlaufe des Tages leerten wir den Rest der Flasche halbwegs unbemerkt in trauter Mädelsrunde.

Anschließend fuhren wir an La Maddalena vorbei und dann zu unserem dritten Stop an der Isola Porco, der Cala Andriani mit Blick auf die Batteria Punta Rossa, einen ehemaligen Militärstützpunkt. Ich lernte, dass „Möwe“ auf Italienisch „Il Gabbiano“ heißt. Um uns herum kreisten außer den Möwen nervige Franzosen mit Motorbooten. Aber selbst die nervten nicht wirklich. Zu schön war dieser Tag.

Als wir wieder im Hafen von Cannigione anlegten, waren alle bester Stimmung. Wir fanden, wir waren eine ganz hervorragendes Team für diesen Tag. Und das fühlte sich auch abends am Pier so an. So muss Urlaub sein.

Der Gatte ließ das Abendessen ausfallen. Ich machte mir noch ein Käsebrot. Dann ereilte ihn die Nachricht, dass die Tauchgänge am nächsten Morgen abgesagt seien. Zu starker Wind. Wir wunderten uns. Noch war es recht ruhig. Eine Stunde später nicht mehr.

Die ganze Nacht tobte ein veritabler Sturm ums Haus. Unser Wäscheständer musste in Sicherheit gebracht werden. Zwischendurch regnete es auch recht heftig. Morgens war dann der Spuk vorbei. Die Sonne kam heraus. Wolkenloser Himmel. Gut, etwas windig war es schon noch, aber das legte sich im Laufe des Tages.

Wir beschlossen, den Tagestrip mit der Fähre nach La Maddalena zu unternehmen. Da ja nun eh nicht getaucht wurde, passte das perfekt. Gleich nach dem Frühstück fuhren wir nach Palau und setzten mit Maddalena Lines über. Unterwegs beschlossen wir, mit Caprera zu starten und uns anschließend La Maddalena anzuschauen. Möglichst bevor die Massen italienischer Garibaldi-Fans dort auftauchen würden, die der Reiseführer prophezeite:

„Doch weder Pinienwälder noch Strände, Delphine oder Mineralien lassen tagtäglich Scharen von Italienern über den 500 Meter langen Damm von La Maddalena nach Caprera wallfahren. Es ist die Casa Garibaldi, die die Massen lockt, der Familien- und Alterssitz Giuseppe Garibaldis (1807 – 1882); jeder echte italienische Patriot muss ihn mindestens einmal im Leben besucht haben. Und davon gibt es eine Menge. Das merkt man spätestens dann, wenn man erlebt, mit welch tiefer, geradezu religiöser Ehrfurcht Italiener wie Sarden gleichermaßen den „heiligen Bezirk“ betreten und wie viele Tränen im Sterbezimmer und am Grab Garibaldis fließen.“

Als wir am Compendio Garibaldino eintrafen, schien unser Plan aufzugehen. Der Andrang hielt sich in Grenzen. Gemeinsam mit einigen italienischen Familien – inklusive zahlreichen Kindern – wurden wir durch die Casa Bianca geführt. Das Haus ist ein Museum. Nein, eher eine Kirche. Bereits am Eingang wurde uns klar gemacht, was alles verboten war: essen, trinken, klingelnde Handies, Fotos – außer nach ausdrücklicher Genehmigung, Anfassen von Gegenständen, die einst dem Höchsten gehört hatten, und noch zahlreiche andere Dinge. Atmen war offensichtlich in Ordnung. Glück gehabt!

Der Reiseführer meint dazu: „Das Casa Garibaldi ist Mekka, Pilgerstätte und Heiliger Gral zusammen, und die Grals-Wächterinnen nehmen ihre Aufgabe entsprechend ernst.“ Unsere „Grals-Wächterin“ schien das auch so zu sehen. Das Fotoverbot erwies sich im Nachgang allerdings als Witz. Immer wenn sie mit ihrem schier endlosen „Das ist der Mörser, indem Garibaldis Pesto zubereitet wurde. Das ist der Sattel, den Garibaldi aus Südamerika mitgebracht hat. Das ist der Baum, den Garibaldi gepflanzt hat“-Monolog in einem Zimmer fertig war, erteilte sie eine allgemeine Fotoerlaubnis. Anscheinend sollte nur alles seine Ordnung haben.

Ich machte also Fotos von Garibaldis Badewanne, dem Grabstein von Garibaldis Hengst Marsala, der im Pinienhain begraben liegt, Garibaldis Sterbebett inklusive Garibaldis Medikamenten und Garibaldis Metallgestell, das seinen zerschossenen Fuß vor Berührungen der Bettdecke bewahrte. Ich bewunderte seine Küchenausstattung und das Stück einer Kanonenkugel, das ihm aus dem Fuß entfernt worden war. Und seine zahlreichen Rollstühle, in denen er seine späten Jahre verbracht zu haben schien. Er heiratete seine letzte, 41 Jahre jüngere Frau sogar im Rollstuhl.

Zuletzt fotografierte ich noch sein Grab – inmitten der Gräber seiner Frauen, Kinder und illegitimer Kinder mit Haushälterinnen. Anschließend wurden wir wieder hinausgeleitet. Würdevoll. Wie es der geheiligte Ort verlangte.

Unser nächster Plan war, zu Fuß zur Cala Corticcia vorzudringen, die wir am Vortag vom Boot aus bewundert hatten. Die Straße um den Einstieg in den Wanderweg herum war komplett zugeparkt. Wir stellten das Auto weiter weg ab und trafen am Beginn des Wegs auf eine nette Frau, die uns erklärte, wir schwierig der Weg sei, dass er durch ein Naturschutzgebiet ginge, und was wir alles nicht dürften. Wir fühlten uns gut ausgerüstet: festes Schuhwerk, ausreichende Wasserreserven, genug Kraft für die schweren Abschnitte des Wegs. Wir marschierten los.

Unterwegs trafen wir auf allerlei mit Strandzeug bepackte Menschen in Badeschlappen und Sandalen. Mmmhhh… Der Weg führte über Granitfelsen und Geröll, war teilweise recht steil und nicht gerade anspruchslos. Aber anscheinend hielt das die Flip-Flop-Menschen, die zum Strand wollten, nicht von ihrem Vorhaben ab. Etwa fünf Minuten vor dem Ziel streikte ich. Zwischen zwei Felswänden ging es stufenlos fast in Falllinie in die Tiefe. Das war definitiv nichts für mich und meine Panik. Wir ließen uns an einem wunderbaren Ort mit Blick auf einen sehr netten Küstenabschnitt nieder und verharrten dort mit schwitzigen Händen. Also meine Panik und ich.

Der Gatte war fünf Minuten später am völlig überfüllten Strand, drehte um, und war wieder fünf Minuten später zurück. Während ich da so saß, kletterte eine vierköpfige Familie die Felsspalte hinunter. Der Vater ließ seine drei Mädels erstmal mit dem Gepäck vorgehen, bevor er sich entschloss, es auch zu wagen. Alle in Sandalen… Wie gesagt: Nix für mich. Und wenn ich nur an den Strand gewollt hätte, hätte ich mir einem anderen ausgesucht. Einen der zahllosen ebenso hübschen, deutlich weniger überfüllten Strände in der näheren Umgebung. Aber… Jeder wie er mag.

Wir kletterten zurück zum Ausgangspunkt und fuhren nach La Maddalena zurück. Dort fuhren wir die Westküste hinunter, machten zahllose Fotostops und ließen uns schließlich in der Snackbar Trinita an der gleichnamigen Cala auf ein ausgezeichnet gekühltes Ichnusa nieder. Die Bar liegt an einem ebenfalls wunderschönen Strandabschnitt mit Dünen und türkisem Meer. Es wehte eine leichte Brise. Es kam das „San Blas Bay“-Feeling von Gozo auf. Einfach herrlich!

Wir legten noch Eis und Pommes frites nach. Den Rest der Fahrt zur Fähre verbrachte ich fast apathisch. Die Hitze, das Bier und die Pommes. Ich war platt. Wir stellten schließlich in La Maddalena das Auto vor der Küstenwache ab und schlenderten durchs Städtchen. Das nächste Eis war nicht weit – für mich Mirto und Limone, der Gatte blieb bei Schokolade und Kaffee. Im Schatten. Meine Lebensgeister meldeten sich zurück.

Wir entdeckten ein Haushaltswarengeschäft und ich versuchte dem recht gut englischsprechenden Besitzer meinen Wunsch nach einem Malloreddus-Brettchen nahezubringen. Immerhin verstand er, was ich wollte. Er gab mir sein Malloreddus-Rezept (Wasser, Hartweizen – und dann vielleicht noch allerhöchstens eine Kartoffel!) und erklärte mir, dass man die Dinger heutzutage nicht mehr verwendete. Man nähme Reiben und ziehe den Teig stückchenweise darüber. Das leuchtete mir ein, schien auch durchaus machbar, aber Reiben habe ich zu Hause ja nun reichlich. Vielleicht sollte ich die Sache mit dem Brettchen langsam aufstecken und die Dinger wie eine moderne Sardin sonst wo drüber rollen. Seufz!

Wider Erwarten fanden wir anschließend die nicht ausgeschilderte Zufahrt zur Fähre und kehrten nach Palau zurück. Ein kurzer Tankstop in Santa Teresa Gallura – und dann in den Schatten unserer Terrasse. Diesmal aß der Gatte noch ein Käsebrot – und mir langte es. Ich träumte wenig später von Garibaldis Malloreddus-Brettchen.

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