Mit gemischten Gefühlen brachen wir am vorletzten Freitag in die letzte Chance auf Urlaub in diesem Jahr auf. Alles andere, das geplant bzw. sogar gebucht worden war, hatte sich im Laufe der letzten Monate erledigt. Besonders schmerzhaft der lang geplante Sommerurlaub auf Kuba, der bereits aus arbeitstechnischen Gründen von 2019 auf 2020 verschoben worden war.
Und ich hatte noch niemals in meinem Leben für ein einzelnes Jahr mehr Urlaubstage angesammelt. Regulärer Jahresurlaub plus Resttage aus dem Projekt plus die Entscheidung für sechs zusätzliche Tage statt der Gehaltserhöhung aus einem Tarifabschluss. Achtundvierzig freie Tage!!! Im Januar noch war ich der Meinung gewesen, dass ich mir derart unanständig viel Urlaub jetzt echt verdient hatte und dass wunderbare Reisen unmittelbar vor mir lägen.
Eine Pandemie später stand ich da mit meinen Unmengen an nutzlosem Urlaub. Und ich hatte ihn noch nie so nötig gehabt. In den letzten Wochen lagen dann echt die Nerven blank. Und das nicht nur aufgrund fehlender Fernreisen… Armer Gatte!
Wie überlegten sehr, sehr lange hin und dann wieder her und nochmal zurück – am Ende beschlossen wir, die vor Corona gebuchte, traditionelle Gozo-Woche im Herbst einfach durchzuziehen. Egal jetzt! Das Haus war ja bereits im Sommerurlaub auf Vordermann gebracht worden.
So kam es, dass wir freitags mittags zum Fraport aufbrachen. Alles eine sehr knappe Angelegenheit, da wir beide morgens noch gearbeitet hatten. Am Flughafen ging es dann unglaublich flott. Und am Gate kam schließlich auch tatsächlich ein Gefühl von „Frei! Frei wie der Wind!“ auf. Der Gatte gönnte sich einen Cappuccino, ich eskalierte bereits um die Mittagszeit und bestellte mir „Xemx u Xita“-summend einen Piccolo. Ab dafür!
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Das Boarding ging dank Corona deutlich zivilisierter vonstatten als üblich. Bemaskt sanken wir in die Sitze. Während des Flugs – etwas über zwei Stunden – schlief der Gatte. Ich stellte derweil interessante soziologische Studien an den Mitreisenden an.
Bis auf zwei Exemplare behielten alle brav ihre Masken auf. Die beiden Abweichler friemelten sich ihre so zurecht, dass sie praktisch jeweils nur einen Stoffstreifen irgendwo im Gesichtsbereich hatten, der rein alibimäßig dort platziert war. Einer der beiden sah sich während des Flugs auf dem Tablet ein Video auf KenFM namens „Megamanipulation“ an. Ein Überzeugungsmaskenverweigerer also.
Bei dem anderen handelte es sich um den Mann eines People-of-Colour-Pärchens, der komplett weiß gekleidet war. Sein Pullover war total flauschig. Er wirkte wie ein riesiger Osterhase. Harmlos also. Das KONNTE kein Superspreader sein.
Neben dem Ken-Jebsen-Mensch saß ein etwas farbloser Mittvierziger, der sich sofort nach dem Abflug in „The God of Small Things“ von Arundhati Roy vertiefte. Kontrastprogramm. Könnte ich auch mal wieder lesen. Ein tolles Buch. Zumindest war das meine Meinung als es erschien.
Die Stewardessen – eine sehr streng, zwei sehr nett – verteilten Getränke und „PickUp“s von Bahlsen. Der Osterhase organisierte für sich und seine Freundin gleich noch jeweils zwei extra. Klar. Osterhasen und Süßigkeiten – das passt ja.
Wir landeten pünktlich. Und zwar direkt mitten im maltesischen Feierabend-Gozotrip-Verkehr des Todes. Puh! Erst brauchten wir ewig bis nach Ċirkewwa. Dann standen wir am Fährterminal in einer nie dagewesenen Monsterschlange. Als wir endlich auf der (zweiten) Fähre waren, ging die Sonne unter. Gozo erreichten wir im Dunkeln. Beim Anblick von Mġarr begann der Urlaub dann wie immer offiziell. Auch emotional. Mit einer Fähre in den Urlaub zu starten halte ich für nahezu perfekt. Das schafft so richtig Abstand.
Auch auf Gozo war dann ungewöhnlich dichter Autoverkehr. Offensichtlich waren diesmal wirklich alle Malteser zum Wochenende herübergekommen. Zumindest alle, die ein Auto hatten. Auf dem Weg zur Wohnung – das ursprünglich angemietete Farmhouse mit Pool hatten wir zwischenzeitlich wieder storniert, weil wir dachten, das wird eh nix in diesem Jahr – wurden noch flott ein paar lebensnotwendige Einkäufe getätigt: Cisk, Wasser, Kaffee, Thunfisch, Eier, Schinken, Käse, Überbrückungsbrot bis zum ersten Einkauf bei Grech’s Bakery, Kekse und Wein. Damit sollten wir erstmal überleben können.
Dann kam der pure Luxus. Für gozitanische Ferienwohnungsverhältnisse. Nach einiger Suche fanden wir „unser“ Haus auf der Triq Santa Marija, der Küstenstraße an der Bucht von Marsalforn. Und es hatte – Tadaaaah!!! Nehmt dies! – einen Aufzug! Ganz neu eingebaut. Gerade erst. Ein Traum angesichts der engen und steilen gozitanischen Treppenhäuser.
Die Wohnung war dann auch sehr lustig. Sie hatte etwas von Wohnungen in Notting Hill – bloß auf einem Stockwerk. Das war praktisch ein Straßendorf. Minkelfeld lässt grüßen. Der Flur ein ewig langer Schlauch, an dessen Ende man jeweils Fenster bzw. Balkontüren aufreißen konnte, sodass die komplette Wohnung in einem „Wusch“ durchgelüftet war. Ebenfalls herrlich angesichts der Temperaturen von 30 Grad und darüber.
Einmal an diesem Tag verließen wir noch das Haus. Und zwar nur für ein paar Meter abwärts zum „Il Gabbiano“, das praktisch direkt unterhalb der Wohnung am Wasser liegt. Wir saßen in der sanften Meeresbrise in der Bay und genossen es sehr. Mehr noch als sonst.
Es gab für den Gatten hausgemachte Ravioli von der Tageskarte mit Salbeibutter und Käsefüllung und für mich Pappardelle Rabbit. Das erste Kaninchen des Urlaubs wanderte meinen gierigen Schlund hinunter. Es wurde mit einem kleinen Fläschchen „Ulysses“ herabgespült, während der Gatte sich mit seinem ersten Cisk des Jahres erfrischte. Wir saßen noch eine ganze Weile da. Das Meer ist wirklich eine tolle Erfindung!
Den ersten Mückenstich des Urlaubs ignorierte ich. Phhh!
Am nächsten Morgen brach der Gatte zu seinem ersten Tauchgang auf. Natürlich gestärkt mit einem Kaffee, den ihm sein liebendes Weib mittels einer waghalsigen Konstruktion aus Kochtopf (eine Kanne gab es nicht, und den kleinen Topf fand ich auch erst beim zweiten Schrankdurchgang („Ich weiß gar nicht, wo mir der Topf steht!“), Nudelsieb, Plastikfilter und total winziger Filtertüte hergestellt hatte. Immerhin gab es einen Wasserkocher.
Bei seiner Rückkehr durften wir erfreut feststellen, dass auch die Klingel und der Türdrücker einwandfrei funktionierten – ich also nicht jedes Mal die Treppe hinunter rennen musste, wenn der Chef seine Rückkehr per Handy angekündigt hatte. Er klingelte, ich drückte einen kleinen Knopf – schwupp! Fertig!
Für den Nachmittag hatten wir traditionell den Antrittsbesuch in der San Blas Bay geplant. Wir mussten unbedingt nachschauen, ob das immer noch der entspannteste Ort der Welt war. Trotz einiger Befürchtungen – während unserer Abwesenheit war dieser Artikel auf newsmalta.com erschienen – war alles, wie es sein muss. Unser Kioskfreund reichte uns wie immer völlig tiefenentspannt unsere Getränke. Wir sanken in die dunkelgrünen Plastik-Monoblock-Stühle. Haaaach! Herrlich!
Einzig die Tische waren coronakonform umverteilt worden. Aber das war kein Problem. Nach einer zweiten Runde fühlte ich mich stark genug für den Anstieg. Und obwohl gerade als wir aufbrachen ein Jeep mit nur zwei Insassen startete, verweigerte ich. Nein! Wenn ich diesen Abhang nicht mehr aus eigener Kraft schaffe, dann darf ich auch nicht mehr unten sitzen. Pah! Der Stolz siegte. Und so schlimm wie befürchtet war es dann auch gar nicht, zumal der Gatte freundlicherweise meinen sauschweren Rucksack mit dem Fotoequipment übernahm. Danke!
Auf dem Heimweg dann stockte ich meine Oliven-, Olivenöl-, Pecorino- und Ġbejnavorräte bei Ta’Mena auf. Und schließlich besorgten wir noch Kaffeefilter in einer passenden Größe. Es gab im Lighthouse Supermarket kein einziges Päckchen! Skandal! Ich huschte noch flott in den Ta’Dirjanu auf der anderen Straßenseite. Und siehe da! Ein einsames Päckchen war auffindbar. Blöderweise lag es im oberen Regal auf einem Karton. Ein Wunder, dass ich es überhaupt entdeckt hatte. Ich hüpfte so lange auf und ab und schubste es mit dem Handy, bis es herabfiel. Geht doch!
Mit der Hüpferei hatte ich mir dann auch das Abendessen verdient. Wir reservierten einen Tisch im Brookies. Aufgrund einer überaus ungünstigen Umleitung kamen wir fast zu spät. Fast. Das Essen war wie immer ausgezeichnet. Vorneweg gab es Galetti mit einem gar köstlichen Dip, der nach Fenchel schmeckte.
Der Dip war so köstlich, dass ich ihn sofort nach unserer Rückkehr nachbasteln musste. Da er nach Fenchel schmeckte und alle maltesischen Dips irgendwie aus Bohnen sind, habe ich einfach mal rumprobiert mit dem, was Vorratskammer und Garten so zu bieten hatte. Und gleich noch Galletti nach diesem Rezept dazu gebacken. Man muss halt auch mal Glück haben – das ist schon sehr, sehr nahe am Original.
Zutaten
- 200 g getrocknete maltesische Favette oder weiße Bohnen oder Butterbohnen als Ersatz
- 2 Schalotten
- 1 Zehe Knoblauch
- 1 gestr. EL Wildfenchelsaat oder alternativ andere Fenchelsaat
- Fenchelgrün reichlich
- 2 Stangen Staudensellerie
- Olivenöl bester Qualität
- 0,5 Zitrone davon der Saft
- Meersalz und schwarzer Pfeffer
Anleitung
- Bohnen über Nacht einweichen und anschließend in Salzwasser mit etwas Olivenöl kochen, bis sie weich sind. In einen Pürierbecher geben.
- Wildfenchel in einer Pfanne ohne Öl etwas anrösten. Zu den Bohnen geben.
- Schalotten, Knoblauch, Fenchelgrün und Sellerie in Stücke schneiden und ebenfalls dazu geben.
- Mit Zitronensaft und einem ordentlichen Schuss Olivenöl - eventuell je nach Konsistenz nochmal nachlegen - aufmixen. Salzen und pfeffern. Mit Galletti oder frischem, geröstetem Brot servieren.
Zurück nach Gozo: Wir teilten uns am bereits erwähnten Abend als Vorspeise ein Carpaccio. Anschließend landete vor dem Gatten eine Pasta von der Tageskarte und vor mir ein Lampuki. Der Lampuki lag wie im letzten Jahr auf dieser grandiosen Tomatensauce mit Kapern und Oliven. Ein Genuss.
Am Nebentisch ließ sich derweil eine Familie nieder, die in ihrer Konstellation und ihrem Verhalten eine Art maltesische Trump Family war. Aufgebrezelte, etwas billig wirkende Gattin, kleiner, dicker Mann im Anzug, sehr, sehr seltsames Kind. Sie wurden hofiert. Wir spekulierten, um welchen korrupten Lokalpolitiker (das kann man ruhig so schreiben, denn prinzipielle Breitschaft zur Korruption ist auf Malta sozusagen Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Karriere in der Politik…) es sich wohl handelte. Ich war sicher, ihn wieder zu erkennen, grübele aber immer noch.
Und da an diesem Tag ja auch der großartige deutsche Einheitstag war, feierte ich meine Wiedervereinigung mit dem Lampuki mit einer weiteren Flasche „Ulysses“. Ich muss allerdings zugeben, dass es mir am Ende deutlich besser ging als dem Lampuki.
Der nächste Tag begann für den Gatten mit einem Tauchgang in Ta’Cenc. Ich amüsierte mich derweil mit Bildbearbeitung, Spülen und In-der-Sonne-lesen. Das Wetter war nicht gerade der totale Bringer für weitere Fotos. Etwas sehr diesig. Irgendwer in der Tauchbasis hatte gemeint, bei diesem Wind läge anschließend immer die Hälfte des Sandes der tunesischen Strände auf Gozo. Ja. Genau. So wirkte das auch.
Wir beschlossen, durch Marsalforn zu laufen, nachzusehen, was sich wohl verändert hatte seit dem letzten Jahr, und überhaupt mal so nach dem Rechten zu schauen. Dazu gehört auch definitiv ein Eistest im Hafen. Der Test verlief sehr erfreulich. Zumindest Joghurt und Zitrone kann ich vorbehaltlos weiterhin empfehlen.
Wir hatten es bereits im Netz gelesen: Die Glassbox hatte geschlossen. Das wollten wir mit eigenen Augen sehen. Und es war ein sehr trauriger Anblick. Dafür hatte nebenan angeblich ein hochgelobtes Rooftop Restaurant eröffnet. Blöderweise hatte es bereits wieder geschlossen. Respekt! Das ging flott.
In einer Straße neben der Kirche wollte ich kurz die wunderschönen Fliesen kontrollieren, die ich vor zwei Jahren fotografiert hatte. Weg! Also nicht nur die Fliesen. Nein – das ganze Haus. Und ich würde wetten, sie haben sie herausgerissen und in die Tonne gekloppt, diese Wahnsinnigen! Verdammt!!!
Auf dem Rückweg zum Haus reservierten wir noch für den Abend einen Tisch im Il-Kartell. Das ist immer eine gute Idee. Auch diesmal. Vor dem Gatten landeten dann später am Tag als Starter eine Portion Muscheln in Tomaten-Weißwein-Knoblauch-undwasweißichnochalles-Sauce, vor mir frittierte Sardinen. Im Prinzip wären wir an dieser Stelle des Abends satt gewesen. Zumal wir gemeinsam noch mit Brot die unglaubliche Muschelsauce aufgetunkt hatten. Die landete dann auch unmittelbar auf der „Koch! Mich!! Nach!!!“-Liste.
Trotzdem standen kurze Zeit später zwei weitere riesige Teller vor uns auf dem Tisch: Pasta Lobster für den Gatten, der Catch of the Day – ein Cipulazz aka Rock Fish aka Skorpionsfisch – für mich. Die Zubereitung war in beiden Fällen wie erwartet tadellos. Selbst die Fischbäckchen wurden am Ende noch von der Fisch-Chirurgin, in die ich mich in solchen Fällen verwandle, sorgfältigst entfernt und verspeist. Ein Traum!
Und wir stellten am Ende des Tages fest: Wir hätten prinzipiell kein Problem damit, wenn ab sofort alle Tage so verlaufen würden. Ein bisschen mehr Sonne, etwas blauerer Himmel. Ansonsten war das perfekt. Und total entspannt.
Zudem: Die Mücken waren in diesem Jahr total harmlos. Sie stachen zwar, aber es entzündete sich nicht wie in den beiden vergangenen Jahren. Einen Tag Juckreiz. Fertig! Dafür reichte die mitgebrachte Fenistil Hydrocortison 0,25 völlig aus. Dass sie seit zehn (!) Jahren abgelaufen war, stellte ich erst später fest. Sie wirkte jedenfalls hervorragend.